Die Deutsche - Angela Merkel und wir
gesprochen, wenn sie die Feindschaft eines Friedrich Merz, Jürgen Rüttgers oder Christian Wulff betrachtete oder gar Roland Koch, der in der Kandidatenfrage 2002 gegen sie intrigierte und den sie in einer Parteitagsrede einmal versehentlich »Kotz« nannte. Im Rückblick betrachtet, hätte ihr vermutlich nichts Besseres passieren können. Jede offene Attacke ihrer Parteifeinde rief fast zwangsläufig Solidarisierungseffekte an der christdemokratischen Basis und in der liberalen Öffentlichkeit hervor. Darüber hinaus verfingen sich die von sich selbst überzeugten Männer oft in ihren Eitelkeiten. Solange Merkel in der Partei nur Widersacher hatte, die als rückwärtsgewandt gelten konnten und die sich zudem in einem Pakt der westdeutschen Männer gegen die Frau aus dem Osten verschworen hatten, hatte sie die Logik der Geschichte auf ihrer Seite, die Sympathien des Publikums sowieso.
Seit Merkel als Kanzlerin unangefochten ist und die alten Gegner hinter sich gelassen hat, steht sie vor einer neuen Lage. Nun muss sie Entlassungsurkunden auch für einstige Weggefährten unterschreiben, wobei die Fälle unterschiedlich liegen. Norbert Röttgen agierte schon früh auf eigene Rechnung und verspekulierte sich bei der Suche nach einer eigenen Hausmacht in Nordrhein-Westfalen. Annette Schavan hielt Merkel stets die Treue, war aber nach der Aberkennung ihres Doktortitels als Ministerin nicht mehr zu halten. Sie bekam zum Abschied einegemeinsame Pressekonferenz samt freundschaftlicher Würdigung geschenkt, die aus Sicht der Regierungschefin alles andere als selbstlos war. Mit dieser Geste machte Merkel die Umstände von Röttgens Entlassung vergessen, als die Öffentlichkeit für einen kurzen Moment über die Brutalität der Kanzlerin erschrocken war. Nun demonstrierte sie ihre Menschlichkeit und erteilte zugleich die Lehre, dass sich bedingungslose Treue zur Chefin selbst im politischen Untergang noch auszahlt. Zu nennen ist schließlich Ursula von der Leyen. Sie hat ihr Amt noch inne, agiert aber gleichfalls eigenständig, seit sie von Merkel bei der Präsidentenwahl 2010 instrumentalisiert worden ist.
Unter anderen Umständen hätte sich das alles zu einer Aufstandsbewegung zusammenballen können wie im Fall Helmut Kohls 1989. Damals wandten sich die alten Weggefährten, die einst gemeinsam mit Kohl für die Erneuerung der Partei gestritten hatten, gegen den Kanzler. Heiner Geißler, Lothar Späth und Rita Süssmuth wollten auf dem Bremer Parteitag im September jenes Jahres den Putsch versuchen. Allesamt hatten sie nicht ins Kalkül gezogen, wie sehr Kohl von dem gerade beginnenden historischen Umbruch profitieren würde. Selbst zwei Monate später, nach dem Fall der Berliner Mauer, beklagten sie nach einem Bericht des Spiegel noch, »wie wenig überzeugend Helmut Kohl in dieser Zeit historischer Umbrüche in Deutschland und Europa wirkt«. In der ersten Zeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs machte der spätere Kanzler der Einheit einen ähnlich orientierungslosen Eindruck wie Merkel nach dem Ausbruch der Finanz- und Euro-Krise.Erst mit seinem »Zehn-Punkte-Plan« gewann er die Deutungshoheit zurück.
Die Euro-Krise wurde für Merkel, was für Kohl die Wiedervereinigung war: das Ereignis, das der eigenen Kanzlerschaft eine historische Aura verlieh und die Gesetze der politischen Lebenszyklen bis auf weiteres außer Kraft setzte. Im Rückblick erscheinen die krisenlosen ersten drei Amtsjahre Merkels als geradezu idyllische Phase ihrer Kanzlerschaft. Aus damaliger Sicht waren sie das nicht. Zwar gelang es der Anführerin einer großen Koalition, sich bei den Verhandlungen über den EU-Haushalt Ende 2005 und beim G-8-Gipfel in Heiligendamm 2007 auf internationalem Parkett zu etablieren und damit die Grundlage für ihre spätere Rolle als Krisenmanagerin zu schaffen. Innenpolitisch agierte das Bündnis aber keineswegs immer so konfliktfrei, wie es nach den Erfahrungen mit der FDP die Erinnerung verklärt – auch bei Merkels eigenen Leuten. In der vierjährigen Wahlperiode bekam es die Kanzlerin immerhin mit vier verschiedenen SPD-Vorsitzenden zu tun, und innerhalb der CDU war ihre Position nicht so unangefochten wie heute.
Der Herbst 2008 änderte alles. Der Zusammenbruch der amerikanischen Lehman-Bank zählt zu jenen historischen Einschnitten, nach denen tatsächlich alles anders ist als zuvor – im Unterschied etwa zu den Anschlägen vom 11. September 2001, bei denen das für Deutschland jedenfalls nicht galt.
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