Die Deutsche - Angela Merkel und wir
gepasst haben, rief er den Deutschen nach Monaten der Ruhe doch in Erinnerung, wofür sie ihre Krisenkanzlerin noch brauchen könnten. Sind die Künste der Euro-Managerin nicht mehr gefragt, ist die politische Zukunft wieder offen. Dankbarkeit ist nicht nur unter Politikern, sondern auch bei Wahlen keine Kategorie. Die Briten wählten ihren Kriegspremier Winston Churchill ungerührt ab, kaum dass die Tinte unter der deutschen Kapitulationserklärung trocken war. Anders als die Briten neigen die Deutschen mit ihrer nach 1945 entwickelten Sicherheitsfixierung allerdings eher dazu, den Garanten dieser Stabilität zu lange die Treue zu halten:Adenauers Wiederwahl 1961 war, wie Kohls Bestätigung 1994, eher eine Würdigung historischer Verdienste als ein Mandat für die Zukunft.
Merkels größtes innenpolitisches Kapital ist, anders als bei Kohl, nicht die Mobilisierungskraft im eigenen Milieu, sondern die koalitionspolitische Anschlussfähigkeit gegenüber anderen Wählerschichten. Zeitweise war die Kanzlerin bei den Anhängern von SPD und Grünen beliebter als ihr sozialdemokratischer Herausforderer Peer Steinbrück, der mit seinem »Klartext«-Anspruch eher als Vertreter eines überholten Basta-Stils wahrgenommen wurde.
Wahlarithmetisch kann sich Merkel ihrer Kanzlerschaft am sichersten sein, wenn sie gemeinsam mit der FDP eine Mehrheit erringt. Das Restrisiko, dass Rot-Grün entweder die Linke oder die FDP als Mehrheitsbeschaffer gewinnt, wäre dann eliminiert. Denn so sehr die Liberalen zuletzt auch politische Lockerungsübungen betrieben, eine klare parlamentarische Mehrheit mit den Unionsparteien könnten sie so wenig ausschlagen wie Merkel.
Bei allem Frust über den Koalitionspartner während der zurückliegenden vier Jahre wäre eine solche Konstellation für Merkel weiterhin beherrschbar, ohne dass sie deshalb zwangsläufig die Sympathie der Deutschen verlöre. Da es zu ihrem großen Glück keine schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat mehr gibt, könnte sie liberale Wünsche unter Verweis auf die Blockademacht der SPD nach Belieben abschlagen, faktisch eine Politik der großen Koalition exekutieren und die »Kanzlerin aller Deutschen« bleiben. Eine solche Allparteienkoalition würde allerdings nebender FDP im Bund auch die Grünen in den Ländern einschließen und deshalb Verhandlungszwänge erzeugen, die den Ansprüchen des Publikums an politische Ästhetik und Handlungsfähigkeit zuwiderliefen – auch wenn Merkel vermutlich mit ihnen umzugehen wüsste.
Nach vier Jahren Schwarz-Gelb wünschen sich die Deutschen schon eine Neuauflage der großen Koalition aus den Jahren 2005 bis 2009, die im Nachhinein zu einem Idealbild vernunftgemäßen Regierens verklärt wird. Das hat viel mit Erwartungshaltungen zu tun: Weil man Union und SPD seinerzeit wenig Gemeinsamkeiten zutraute, nahm man ihr Zusammenspiel als unerwartet harmonisch wahr. Und weil Union und FDP ungeachtet ihrer inzwischen sehr gegensätzlichen Weltanschauungen als »Wunschpartner« galten (was sie für Merkel bestenfalls in einem instrumentellen Sinne waren), betrachtete man ihre absehbaren Zielkonflikte als Abgrund an Zerstrittenheit. Man soll die Friktionen einer neuerlichen großen Koalition gleichwohl nicht unterschätzen. Das Bündnis mit Merkel bescherte der SPD 2009 einen Verlust von mehr als zehn Prozentpunkten. Die Neigung der Sozialdemokraten, der Kanzlerin durch eine gedeihliche Zusammenarbeit den Glorienschein der weisen Weltenlenkerin zu erhalten, wird deshalb wenig ausgeprägt sein. Auch in einer solchen Konstellation würden im Übrigen FDP und Grüne als Koalitionspartner der beiden Großparteien über den Bundesrat mitreden.
Bis ins Letzte plausibel sind daher die Argumente gegen die Hypothese nicht, Angela Merkel könne womöglich ein Bündnis mit den Grünen schließen und die Deutschendamit noch einmal überraschen. Das von der Kanzlerin selbst angeführte Argument, eine solche Koalition verfüge über keinerlei Stimmen im Bundesrat, überzeugt jedenfalls nicht. Allenfalls ist es als Hinweis auf die große Koalition als geheimes Wunschbündnis zu verstehen, denn eine Neuauflage von Schwarz-Gelb käme nach dieser Logik ebenfalls nicht in Frage: Eine solche Koalition regierte zuletzt nur noch in Sachsen, Hessen und Bayern, mit jeweils ungewissen Zukunftsaussichten. Auch manche Feststellung, über diese politische Konstellation sei die Zeit hinweggegangen, muss man nicht für bare Münze nehmen: Schließlich kamen
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