Die Deutsche - Angela Merkel und wir
Regierungskonstellationen in Deutschland oft erst zu einem Zeitpunkt zustande, den die interessierte Öffentlichkeit als zu spät empfand.
Angela Merkel hat anders als ihre Vorgänger bereits mit zwei verschiedenen Koalitionspartnern regiert. Der Ehrgeiz, es noch einmal mit einer neuen Kombination auszuprobieren, ist ihr durchaus zuzutrauen. Auch ein beträchtlicher Teil der grünen Führungsriege stellt sich ungeachtet beidseitiger Dementis darauf ein, nach der Wahl von der christdemokratischen Parteiführerin ein unmoralisches Angebot unterbreitet zu bekommen. Bislang gilt die Parole, dass man es ablehnen müsse. Tatsächlich hat Merkel wichtige Symbolthemen, mit denen sie den Grünen ein Bündnis schmackhaft machen könnte, bereits aus der Hand gegeben. Vor allem die Verkürzung der Atomlaufzeiten zählt dazu. Dass sich die Grünen inzwischen so stark in der Steuerpolitik engagieren, könnte die Operation anders als vermutet sogar erleichtern. Dieses Feld steht aufgrund seiner Komplexität für Kompromisse weit offen,und die Fragen, die sich hier stellen, unterscheiden sich bei schwarz-roten oder schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen nicht dramatisch. Ein Tausch des höheren Spitzensteuersatzes gegen Erleichterungen bei kleinen und mittleren Einkommen könnte beispielsweise in jeder der beiden Kombinationen den Beteiligten einen Erfolg bescheren. Gerade weil sich die Grünen programmatisch so stark an die SPD angenähert haben, wird Merkel die beiden Parteien bei möglichen Koalitionsverhandlungen gut gegeneinander ausspielen können.
Man darf sich allerdings kein allzu idyllisches Bild von den Herausforderungen machen, vor denen die künftige Regierung steht. Der Honigmond des deutschen Staatshaushalts wird nicht ewig anhalten, mit praktisch zinslosen Krediten und Rekordeinnahmen bei Steuern oder Sozialversicherung. Auch wird die neue Regierung irgendwann nicht mehr darum herumkommen, die Kosten von Banken-Rettung und Euro-Stabilisierung im offiziellen Staatshaushalt zu verbuchen. Spätestens wenn auch die öffentlichen Gläubiger auf einen Teil ihrer Griechenland-Kredite verzichten müssen, um die allmähliche Konsolidierung des Landes nicht zu gefährden, wird es so weit sein. Die Beträge, um die es in diesem Zusammenhang geht, sind im Vergleich zu den Kosten der Wiedervereinigung zwar immer noch relativ gering. Doch für unangenehme Debatten in der Innenpolitik reichen sie allemal, womöglich vermögen sie auch die Bereitschaft von Anlegern zu dämpfen, ihr Kapital dem deutschen Finanzminister praktisch ohne Gegenleistung anzuvertrauen. In jedem Fall wird sich der Nutzen, den Merkel aus dergroßen Krise zieht, allmählich erschöpfen. Beruhigt sich die Lage in Europa, kann sie von ihrem Status als Weltstaatsfrau nicht mehr zehren, beruhigt sie sich nicht, wird das Scheitern der Pazifizierungsversuche irgendwann auch ihr angelastet.
Die Vollendung von Merkels zweiter Amtszeit ist eine Zäsur. Sie lädt dazu ein, sich vor Augen zu führen, wie sehr diese Politikerin in 13 Jahren als Parteivorsitzende und acht Jahren als Kanzlerin das Land verändert hat; vermutlich hat sie die Partei sogar stärker umgewälzt als das Land. Durchgreifend liberalisiert hatte sich die Bundesrepublik bereits während der 16 Amtsjahre Helmut Kohls, der stets als die Symbolfigur des Alten und Muffigen galt. Die rot-grüne Regierung hat diesen Wandel dann in Gesetze gegossen, die damals von den Unionsparteien entschieden bekämpft wurden. Vollendet werden konnte dieser Wandel erst von der Partei, die sich die konservative nennt: Die Parteivorsitzende Merkel setzte gleich zu Beginn das Bekenntnis der CDU zum Einwanderungsland Deutschland durch, mit Hilfe einer Kommission unter dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. In der Regierung bediente sie sich dann der Ministerin Ursula von der Leyen, um das Familien- und Frauenbild der CDU à jour zu bringen.
Indem sie auf beiden Feldern Akteure einspannte, die von Haus aus nicht zu ihren engsten Vertrauten gehörten, machte sie sich persönlich unangreifbar. Das ändert nichts an ihren Verdiensten, und es ändert vor allem nichts daran, dass sich auf diesen identitätspolitischen Feldern der entscheidende Wandel vollzog – oder immer noch vollzieht,wie die Debatte um die Homo-Ehe zeigt. Die Programmbestände, die Merkel in ihrer zweiten Amtsperiode als Kanzlerin abräumte, fallen unter diesem Gesichtspunkt weniger ins Gewicht: Ideengeschichtlich lässt sich schwer
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