Die deutsche Götterlehre
trägt, wo sie des Heilands Segen empfängt.
Das sind einige (nicht alle) Vorstellungen unserer Vorfahren über das Wesen der Seele; sie sind einfach, wenn man will roh, aber von hohem Aller. Mehr ausgebildet, tiefer in alten Mythen wurzelnd, ist die Meinung von einer Ueberfahrt der Seelen in das Gebiet der Unterwelt durch ein Wasser , welches das Reich der lebenden Menschen von dem der Todten trennt. Procop erzählt: Am Ufer des festen Landes (an der Nordsee) wohnen unter fränkischer Oberherrschaft, aber von Alters her aller Abgaben entbunden, Fischer und Ackerleute, denen es obliegt, die Seelen überzuschiffen. Das Amt geht der Reihe nach um ; welchen es in jeder Nacht zukommt, die legen sich bei einbrechender Dämmerung schlafen. Mitternachts hören sie all ihre Thüre pochen und mit dumpfer Stimme rufen. Augenblicklich erheben sie sich, gehen zum Ufer und erblicken dort leere Nachen, fremde, nicht ihre eigne, besteigen sie, greifen das Ruder und fahren. Dann merken sie den Nachen gedrängt voll geladen, so dass der Rand fingerbreit über dem Wasser steht. Sie sehen jedoch Niemand und landen schon nach einer Stunde, während sie sonst mit ihrem eignen Fahrzeug Nacht und Tag dazu bedürfen, in Brittia. Angelangt entlädt der Nachen sich alsogleich und wird so leicht, dass er nur ganz unten die Flut berührt. Weder bei der Fahrt noch beim Aussteigen sehen sie irgendwen, hören aber eine Stimme jedem Einzelnen Namen und Vaterland laut abfragen. Schiffen Frauen über, so geben diese ihrer Gatten Namen an.
Diese Vorstellung von dem Todtenreich auf der Insel Brittia war noch im dreizehnten Jahrhundert und selbst später so lebendig, dass sterben hiess »nach Brittia ziehn« oder auch »zum Rheine gehn,« wo der Nachen des dahin Abfahrenden harrte.
Zu dieser Fahrt ins Todtenreich wurde die Leiche besonders ausgerüstet. Wie bei den Griechen die Ueberfahrt nicht umsonst geschah, sondern gegen ein bestimmtes Fährgeld , die Danaka, welches man der Leiche in den Mund gab, so musste dies auch bei unsern Vorfahren erlegt werden. Man steckte es in die Hand der Leiche, oder legte es neben sie, doch kommt auch vor, dass man es ihr in den Mund gab, wie man z. B. in Belgien das Skelett eines deutschen Kriegers ausgrub, welches den Fährgroschen noch in der Mundhöhle trug. Auch ein paar neue Schuhe , oder ein neuer Schuh gehörte dem Todten, damit er die beschwerliche Reise um so sicherer und besser zurücklegen könne. Wöchnerinnen gab man, wenn sie mit dem gestorbnen Neugebornen begraben wurden, Zwirn, Nähnadeln und Garn mit, damit sie im künftigen Leben für dessen Leinwand sorgen könnten. Ebenso gab man Todten Salbe mit, um die Wunden zu heilen, die sie etwa auf der Reise empfingen. Den Helden folgten im Norden Knechte, Pferde und Hunde, die mit ihnen verbrannt wurden, und als König Harald starb, tödtete man sein Pferd und begrub den Sattel mit der Leiche, damit er darauf nach Walhalla reiten könne.
Aber nicht alle Gegenden liegen am Meer oder stehen mit demselben durch Flüsse in Verbindung. In solchen mehr nach innen gelegenen Gegenden fahren die Seelen in einem hoch durch die Luft daherziehenden Wagen zum Land der Todten; einigemale kommt aber dieser Wagen selbst nahe der See vor. Als Brunhild gestorben war, wurde sie auf einen geschmückten Wagen gelegt und fuhr auf demselben zur Hel, wobei sie unterwegs das in der ältern Edda (Helreidh Brynhildar) beschriebene Gespräch mit dem Riesenweib hielt. Noch weiss das Volk in den Niederlanden von diesem Hellewagen oder Zielewagen (Seelenwagen), der jede Nacht umfährt und die Seelen unter fröhlicher Musik »nach dem andern Land« führt. Er ist auch in dem alten Armorica bekannt: man hört in der Luft seine Räder knarren, denn er ist mit Seelen überladen, und ein weisses Tuch bedeckt ihn. Sein Nahen verkündet der Schrei des Käuzchens, wo dieser erschallt, da muss bald jemand den Wagen besteigen; der Sterbende hört das Knarren und gibt gewöhnlich bald darauf den Geist auf.
Tod. 102
Sterben ist Heimkehr zur Gottheit, darum heisst das Todtengeläute, welches gleich nachdem jemand gestorben ist in Hessen erschallt, mit einem schönen Namen Heimläuten. Die Heimkehr dem Menschen zu verkündigen, sendet die Gottheit ihren Boten aus, welcher die Seele abholt und ihr zuführt. Dieser Bote ist der Tod , der also kein tödtendes Wesen ist, darum auch kein schreckendes, schauerliches, sondern ein milder, aber strenge seines Amtes wartender Diener der Götter. Er ist
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