Die deutsche Götterlehre
lebendig, dass ein niederdeutscher Edelmann sich im 16. Jh. eine Grabschrift setzen liess, worin folgendes echtheidnisch klingende vorkommt:
Ik bin en meklenburgsch edelman:
Wat geit di düvel min sûpen 100 an?
Ik sûp mit min herr Jesu Christ,
Wenn du düvel ewig dörsten müst,
Un drink mit en fort kolle schal,
Wenn du sittst in de höllequal.
Von dem geräumigen Hause des Donnergottes war schon früher die Rede. Schön waren auch die Wohnungen der übrigen Götter, doch sind sie in Deutschland noch unaufgefunden, wir kennen sie bis jetzt nur aus nordischer Ueberlieferung, so Baldrs Halle, die breit glänzende, in welcher nichts unreines geduldet wurde; die Wohnung Freias, unsrer Frouwa, in welcher sie die Hälfte der waffentodten Männer empfängt, so oft sie zum Kampfe zieht; sie heisst des Volks Gefilde und der Saal der Göttin selbst der Sitzräumige. Auf goldnen Seulen ruht das silberne Dach des Saales Forsetis (Forasizo's), in welchem er alle Händel schlichtend thront, u. s. w.
Seelen. 101
Die belebende Seele ist den Sprachen ein weibliches Wesen gegenüber dem männlichen Geist, Athem, der fühlbar aus und einzieht, während jene sanft und still sich nur durch ihr Walten verräth. Sie ist ein luftiges, leichtes, Wesen, welches rasch erscheint und verschwindet und darin den Elben gleicht, denen sie überhaupt sehr nahe steht. Mitunter tritt sie bei ihrem Ausgang aus dem Körper in eine neue, nicht menschliche Gestalt, worin sie eine Zeit lang verharren muss; dies gründet in der Lehre von der Seelenwandrung, welcher unser Alterthum huldigte.
Vor allen derartigen Uebergängen sind zwei besonders häufig, die anmuthigen Vorstellungen, welche die Seele als Blume aufblühen, als Vogel auffliegen lassen; beide hängen zusammen mit der Verwandlung in Pflanzen und Thiere überhaupt. Unsere Sagen und Märchen sind voll schöner Züge, worin besonders die erste dieser Vorstellungen bewahrt ist. So finden wir in dem Volksbuch von Faust einen Zauberer, der den Leuten die Köpfe abschneidet und wieder anheilt. Sobald er den Schnitt gethan hat, zeigt sich in einem dabeistehenden Wasserglas eine Lilie, welche in dem Augenblick verschwindet, wo der Zauberer den Kopf wieder anheilt: er nennt sie bezeichnend die Wurzel des Lebens. Ein Mönch, welcher jeden Tag das salve regina mit grosser Andacht betete, starb und wurde in einem offenen Sarg in die Kirche gesetzt; am andern Morgen fand man eine Lilie aus des Todten Mund gewachsen, auf deren weissen Blättern das salve regina mit goldnen Buchstaben geschrieben stand. Die Seele hat ihren Sitz im Blut, sie flieht in den drei ersten Tropfen, daher, dass in vielen Märchen aus den begrabenen drei ersten Blutstropfen Blumen und Bäume entspriessen, wie anderswo aus dem hinströmenden Blut sofort eine Blume entspringt. Jenes Begraben des Blutes ist bereits christlicher Zusatz, der sofortige Uebertritt in die Pflanze die ältere reinere Ansicht, die darum auch seltner erscheint, während jene zahllos vorkommt. So entspriessen dem Grabe Hingerichteter zum Zeichen ihrer Unschuld weisse Lilien; aus des Mädchens Grab wachsen drei Lilien die kein anderer, als der Geliebte brechen soll und aus den Hügeln Liebender winden sich Blumensträuche, deren Aeste sich verflechten, wie die Seelen der Todten einst verflochten und verbunden waren; das Geschlecht der Liebenden dauert in den Pflanzen fort, wie aus Tristans Grab ein Weinstock, aus Isoltens eine Rose wuchs, die sich zusammenwanden.
Als Pflanze ist die Seele jedoch gebundner an die Scholle, freier ist die als Vogel entschwebende, deren Flug fortan keine Grenzen mehr gesetzt sind. In dieser Gestalt kommt sie aus dem Munde Sterbender und zwar, wenn sie im Leben fromm waren, mit schneeweissem Gefieder. So sah man, als ein Schiff einst versank, der Untergegangenen Seelen in Gestalt weisser Tauben gen Himmel steigen, und als die Jungfrau von Orleans in den Flammen stand, hörte ein Kriegsknecht, wie sie den Namen Jesu rief und sah gleich darauf eine weisse Taube sich aus den Flammen erheben. Der Bauer der Bretagne sieht besonders in den Lerchen gegen Himmel steigende Seelen und ihm lautet ihr Gesang: »Sanct Petrus öffne mir die Thür, ich will auch nie mehr sündigen, nie mehr, nie mehr, nie mehr.« Er sieht wohl zu, ob die Lerche in den Wolken verschwindet, oder ob sie wieder herab kommt. Im letzten Falle sagt er: ›Die hat zu schwer gesündigt‹ und ihr Gesang lautet ihm dann: ›Ich sündige wieder, wieder, wieder.‹ Als die
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