Die deutsche Götterlehre
jedoch nicht derselbe für alle Seelen, er tritt selbst nicht immer in demselben Geschlecht auf.
Den Seelen der Helden, die im Kampfe fallen, sind die Valkyrjen des Gottes Botinnen, sie abzuholen und nach Walhalla zu geleiten; wie diese Jungfrauen im Leben der Helden Schutzengel sind, so werden sie beim Sterben ihre Todesengel.
Andere Seelen holt der Tod, der gleich allen Geistern plötzlich naht und kaum gerufen, schon erscheint. Wie alle Boten im Alterthum, so trägt auch er einen Stab. Gleich den Valkyrjen hat er ein Ross, worauf er im Land umreitet; dann schaaren sich die Seelen zu ihm und bilden sein Gefolge, doch kein düsteres, trauriges, vielmehr ein heiteres fröhliches, wie denn überhaupt alle Geister fröhlich erscheinen in ihrer Fessellosigkeit. Daher die Vorstellung unseres Mittelalters vom Todtentanz, den der nun zum scheuslichen Geripp gewordene, einst elbisch schöne Tod anführt und den alle ohne Unterschied mitmachen müssen.
Jenes milde, freundliche, zutrauliche Wesen des alten Todes tritt noch in vielen Zügen hervor, die uns im Volksleben begegnen. Er heisst Freund Hein, er wird in den Märchen gar zum Gevatter gebeten und ist seinem Pathen ein schützender, glückbringender Freund, den er begabt, wie die Nornen die Kinder, an deren Wiege sie treten. Die herbere Auffassung seines Wesens, seine Unersättlichkeit, Gierigkeit, Tücke, der Pfeil den er sendet, die Sense, mit der er mäht, der Speer, den er tödtend wirft, der Kampf, den der Sterbende mit ihm zu bestehen hat, scheinen sich erst durch christliche Einflüsse im Mittelalter gebildet zu haben.
Schicksal und Heil. 103
Wir fanden die Macht der Götter beschränkt, ihre Tage gezählt, sie selbst nicht einmal im Anfang der Zeiten stehend, sondern erst aus der Schöpfung hervorgegangen. Sie können dem Menschen wohl Heil und Seeligkeit schenken, aber sein Schicksal vermögen sie nicht zu ordnen, das unterliegt, gleich dem ihrigen einer höhern Weltordnung.
Das Schicksal hat es hauptsächlich mit Beginn und Schluss des menschlichen Lebens zu thun. Seine Botinnen, welche den Menschen seinen Willen überbringen und verkünden und denselben an ihnen ausführen, sind die Nornen, die Schicksalsschwestern, welche an seiner Wiege stehen und an seinem Sterbelager. Es selbst steht im dunkeln Hintergrund, dessen Vorhang Niemand hob; nur die höchsten Götter wissen um seine Rathschlüsse und Fügungen, kennen seinen Willen. So gewiss wie jedem Menschen der Tod ist, war auch das Geschick der Menschen, Geschlechter und Völker im voraus angeordnet, wie denn die Ereignisse bei der Götterdämmerung, der ganze Untergang der Welt von der schicksalvertrauten Seherin vorherverkündigt werden. Dieser heidnische Fatalismus lebt noch unvertilgt in einzelnen Ausdrücken, denen wir im Volke begegnen: Das sollte einmal so sein, mir war nichts besseres bescheert ; dir ist viel Glück zugedacht , du magst dich trösten, u. a. m.
Dieses Glück und Heil liegt zwar in den Gaben des Schicksals eingeschlossen, doch schrieb man dessen Verleihung später besondern Wesen zu, die überhaupt über allem walteten, was zwischen Geburt und Tod dem Menschen Heil- oder Unheilbringendes zustossen kann. Besonders steht das Frau Saelde zu, der eigentlichen Glücksgöttin unserer Vorzeit. Sie wachet über ihren Günstlingen unter den Menschen, erscheint ihnen und hört und erhört ihre Bitten; wem sie aber gram ist, dem kehrt sie den Rücken zu, sie meidet und flieht ihn. So sagen wir noch heute, das Glück personificirend, es sei jemanden hold, oder fliehe ihn, es kehre bei ihm ein, verfolge ihn. In einer mhd. Sage werden der Frau Saelde selbst drei wunderbare Eigenschaften zugeschrieben: eines Menschen Gedanken zu wissen, Helden gegen Wunden im Kampf zu segnen und sich wohin sie wolle zu versetzen. Dies sowie, dass sie dort als Königstochter erscheint, macht sie den Valkyrjen eng verwandt. Jene Schützlinge der Saelde sind gleichsam ihre angenommenen, ihre Pflegkinder, Glückskinder, die ›dem Glück im Schooss sitzen.‹ Als solche gelten dem Volke die Kinder, welche mit der Glückshaube auf die Welt kommen; sie ist ein Zeichen der Gunst der göttlichen Frau und wird darum sorgsam aufgehoben und in ein Tüchlein genäht, dem Kind umgehängt.
Zwar wird von mhd. Dichtern auch das Unglück personificirt, doch mag diese Vorstellung nicht alt sein.
Entrückung. 104
Der deutschen Mythologie vorzüglich eigen ist die Idee der Entrückung. Sie hängt zusammen mit der der
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