Die deutsche Seele
Anfangs trafen sich die Damen lediglich im Nebenzimmer, um gemeinsam der Goethe-Leidenschaft zu frönen, während die Männer im eigentlichen Salon über die großen Fragen der Zeit diskutierten. Doch irgendwann um das Jahr 1780 herum begann den Herren zu dämmern, dass es nebenan beim Damenkränzchen viel heiterer und lebhafter zuging - die Zirkel vermischten sich. In den kommenden zwanzig Jahren gelang es der Gastgeberin Henriette Herz, allwöchentlich die führenden Köpfe aus Wissenschaft und Kunst wie die Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt oder die Schriftsteller Jean Paul und Clemens Brentano bei sich zu versammeln. Friedrich Schlegel lernte dort seine spätere Frau Dorothea, eine Tochter von Moses Mendelssohn, kennen - beide gingen 1796 nach Jena und sorgten gemeinsam mit Schlegels Bruder August Wilhelm und dessen Ehefrau Caroline dafür, dass sich der Mittelpunkt des romantischen Lebens, Schreibens und Liebens von der Spree an die Saale verlagerte. (Das Jenaer Dichter-und-Denker-Idyll endete, als Caroline sich in den Philosophen Friedrich Sendling verliebte und die herzliche Zuneigung zwischen ihr und ihrer Noch-Schwägerin Dorothea in ebenso herzlichen Hass umschlug.)
Auch Friedrich Schleiermacher war häufig zu Gast bei Henriette Herz. Die Erfahrungen, die er bei der ersten Salonniere des Berliner Gesellschaftslebens machen durfte, haben seine Theorie des geselligen Betragens maßgeblich beeinflusst. Knapp zweihundert Jahre bevor der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas die akademische Welt mit seiner Theorie des kommunikativen Handelns strapazierte, entwickelte Schleiermacher einen utopischen Begriff von Konversation, die keinen anderen Zweck kennt, als das Individuum aus allen bürgerlichen und häuslich-familiären Rollenkäfigen zu befreien und so zu einem besseren Menschen zu machen.
Es passt ins romantische Frauenbild, dass sich diese neue Art von Geselligkeit am besten unter weiblicher Schirmherrschaft entfalten sollte. Weit davon entfernt, einen Gleichheits-Feminismus zu vertreten, verehrten die Romantiker die Frau mit ihrer größeren Empfindsamkeit und Seelenweite als Trägerin der wahren Humanität, sahen in ihr die »unendliche Menschheit« (Schleiermacher) besser verkörpert als in ehrgeizigen, geltungssüchtigen Männern.
Zum Idealbild der Gesprächsermöglicherin wurde Rahel Levin, spätere Varnhagen, die 1790 ihren ersten eigenen Salon ins Leben rief, nachdem sie zuvor die angeregte Atmosphäre im Hause Herz genossen hatte. Der Dichter Clemens Brentano, der auch bei der zweiten großen Berliner Salonniere zum regelmäßigen Gast wurde, beklagte zwar hin und wieder die »Sudelküche des Gesprächs«, die dort herrsche, alles in allem bescheinigte er der Gastgeberin aber: »Sie ist ohne Anspruch, erlaubt dem Gespräch jede Wendung bis zur Unart, bei welcher sie jedoch nur lächelt, sie selbst ist äußerst gutmütig und doch schlagend witzig.«
Damit lag Brentano nicht weit entfernt von den Worten, mit denen Rahel, deren oberstes Streben es war, endlich »ein Mensch unter Menschen zu werden«, ihr Konversationstalent selbst charakterisierte: »Ich liebe unendlich Gesellschaft und von je, und bin ganz überzeugt, dass ich dazu geboren, von der Natur bestimmt und ausgerüstet bin. Ich habe unendlich Gegenwart und Schnelligkeit des Geistes um aufzufassen, zu antworten, zu behandeln, großen Sinn für Naturen und alle Verhältnisse, verstehe Scherz und Ernst, und kein Gegenstand ist mir bis zur Ungeschicklichkeit fremd, der dort vorkommen kann. Ich bin bescheiden und gebe mich doch preis durch Sprechen und kann sehr lange schweigen und liebe alles Menschliche, dulde beinah alle Menschen.«
Die Philosophin Hannah Arendt hat auf den inneren Zusammenhang hingewiesen, dass es sich bei den frühen Salonnieres häufig um Jüdinnen handelte. Mehr noch als ihre christlichen Geschlechtsgenossinnen litten sie unter Marginalisierung und Ortlosigkeit, fanden keinen gesellschaftlichen Platz, an dem sie sich hätten entfalten können. Das Bedürfnis danach, alle konventionellen Schranken zu überwinden, war bei ihnen am stärksten ausgeprägt. »Der jüdische Salon in Berlin war der soziale Raum außerhalb der Gesellschaft«, schreibt Arendt, um bitter zu resümieren: »Die Juden wurden zu Lückenbüßern zwischen einer untergehenden und einer noch nicht stabilisierten Geselligkeit.«
In der Tat währte die Glanzzeit des jüdischen Salons nur zweieinhalb Jahrzehnte: 1803 starb der Ehemann von
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