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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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morgen nichts mehr wert sein kann. Der deutsche Bürger, politisch zu spät und also zu kurz gekommen, krempelt die Ärmel hoch und wagt sich hinaus ins feindliche Erwerbsleben, während drinnen die züchtige Hausfrau waltet, stets bemüht, dem Geschafften ein gemütliches Heim zu bereiten.
    Kommoden, anfangs noch zierlich, werden schwerer, Büfetts bekommen Bäuche, Fenster verstecken sich hinter Gardinen, harte Böden werden mit Teppichen weich und leise gemacht. Das Sofa, in den Salons von Aufklärung und Romantik der Austragungsort munterster Gedankenkämpfe, wird zum Gemütsauffänger, zum therapeutischen Möbel, noch bevor Dr. Freud die neurotisch und hysterisch gewordenen Zeitgenossen auf seine berühmte Couch in Wien bittet.
    Gelesen wird die Gartenlaube, jene legendäre Zeitschrift, die sich in ihrer ersten Ausgabe vom Januar 1853 dem Publikum so vorstellt: »Grüß euch Gott, Ihr lieben Leute im deutschen Lande! Zu den vielen Geschenken, die Euch der heilige Christ beschert hat, kommen auch wir mit einer Gabe - mit einem neuen Blättchen! Seht’s Euch an in ruhiger Stunde […] Wenn Ihr im Kreise Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt oder im Frühlinge, wenn vom Apfelbaume die weiß und roten Blüten fallen, mit einigen Freunden in der schattigen Laube - dann leset unsere Schrift! Ein Blatt soll’s werden fürs Haus und für die Familie, ein Buch für Groß und Klein, für jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen! Fern von aller raisonierenden Politik und allem Meinungsstreit in Religions- und andern Sachen, wollen wir Euch in wahrhaft guten Erzählungen einführen in die Geschichte des Menschenherzens und der Völker, in die Kämpfe menschlicher Leidenschaften und vergangener Zeiten. […] So wollen wir Euch unterhalten und unterhaltend belehren. Über das Ganze aber soll der Hauch der Poesie schweben wie der Duft auf der blühenden Blume, und es soll Euch anheimeln in unsrer Gartenlaube, in der Ihr gut-deutsche Gemütlichkeit findet, die zu Herzen spricht. So probiert’s denn mit uns und dann Gott befohlen!«
    Wann immer er kann, zieht sich der Bürger zurück, auf dass sein Gemütsleben in der rastlos-rauen Gegenwart nicht verkümmern möge. Dabei umgibt er sich gern mit Gleichgesinnten, doch Geselligkeit ist kein steifes Repräsentieren, wie es dem Adel ansteht, zwanglos soll es zugehen. Deshalb bleibt die »Gute Stube«, das Renommierzimmer des Kleinbürgers, im realen Alltag ungeheizt, während er sich lieber in der behaglichen Küche versammelt. Oder in einer Kneipe, die von sich selbst behauptet, »urgemütlich« zu sein.
    Von Anfang an gab es in Deutschland ein geographisches Gemütlichkeitsgefälle, galten die Süddeutschen als gemütlicher denn ihre norddeutschen Landsleute. Und so ertönt auch heute noch die Hymne auf die deutsche Gemütlichkeit bevorzugt in bayerischen Bierzelten. Dabei wurde Ein Prosit der Gemütlichkeit! um 1895 herum von Georg Kunoth, einem Bremer Journalisten und Politiker, komponiert: »Ach, wie schön ist doch das Leben, / Wenn es schmückt Gemütlichkeit! / Lasst die Stimmen uns erheben, / Dass man hört es weit und breit: / Mit Sing und Sang, / Mit Kling und Klang: / Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit! // Fröhlich weilen wir beisammen, / Schwebend über Raum und Zeit; / Und der Lebensfreude Flammen / Lodern in Gemütlichkeit! // Seht den König auf dem Throne! / Wohl trägt er ein Purpurkleid; / Was nützt ihm die gold’ne Krone, / Fehlt ihm die Gemütlichkeit? // Wenn sich andre töricht streiten, / Sind wir einig und gescheit; / Denn wir lassen stets uns leiten / Nur von der Gemütlichkeit! // Woll’n die Sorgen euch erbeuten, / Packt euch Kummer, packt euch Leid, / Dann kommt schleunigst zu uns Leuten / Molligster Gemütlichkeit!«
    Das 20. Jahrhundert mit seiner entfesselten Fortschrittswut geht der »molligsten Gemütlichkeit« noch unbarmherziger an den Kragen als sein Vorgänger. Während der Deutsche Michel weiter versucht, die Zumutungen von Industriemoloch und Großstadthektik abzufedern, indem er sich hinter Vorhängen, Ölschinken und Kissen verschanzt, setzt die Avantgarde zum Kahlschlag an. Zwar fordert das Bauhaus die Architekten, Bildhauer, Maler auf, zum Handwerk zurückzukehren - aber nicht etwa, um altdeutscher Schnitz- und Polsterarbeit zu frönen: Kalte Materialien wie verchromtes Stahlrohr und Stoffe aus Eisengarn ziehen in die heimischen vier Wände ein. Klare,

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