Die deutsche Seele
hatte es da doch der glückliche Kaiser Franz, der die Deutschen 1990 als »Teamchef« zum dritten Weltmeistertitel führen durfte! Die Mauer - die zwischen Ost und West - war gefallen. Die Wiedervereinigung stand vor der Tür. Wohlerzogene junge Spieler wie Jürgen Klinsmann oder Andy Brehme waren so weltläufig geworden, dass sie in Italien ihren Cappuccino nahezu akzentfrei bestellen konnten. Die Prämiensumme von 125000 Mark war im Vorfeld gütlich ausgehandelt worden. Die »Spielerfrauen« durften ihre Helden sogar einmal während des laufenden Turniers besuchen. Und Udo Jürgens hatte der Mannschaft ein hübsches Reiseliedchen komponiert: »Wir sind schon auf dem Brenner, / Wir brennen schon darauf. / Wir sind schon auf dem Brenner, / Ja, da kommt Freude auf.« Selbst die grüne Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer hatte dem Ritt über die Alpen ihren Segen erteilt: »Wer den deutschen Fußballern in diesen Tagen zuschaut, der verliert - wie auch ich - irgendwie die Angst vor den Deutschen. Sie spielen nämlich nicht nur gut und erfolgreich; sie spielen auch irgendwie schön und irgendwie richtig emanzipatorisch.« Wann immer es in Mailand, Turin und Rom - irgendwie - eng wurde, saß Bundeskanzler Helmut Kohl auf der Ehrentribüne und drückte die Daumen. Abgerundet wurde das heitere Bild damit, dass 1990 die erste Fußballweltmeisterschaft war, bei der Schienbeinschoner Pflicht wurden.
Nur allernotorischste Fußballnörgler mochten da schimpfen, dass das deutsche Spiel zu »defensiv« sei oder den »Milchbubis« die »innovative Kraft« abgehe. Zwar randalierten deutsche Hooligans in der Innenstadt von Mailand, aber da englische Hooligans auf Sardinien ebenfalls eine Straßenschlacht anzettelten, war die Welt geneigt, in den Schlägern keine Vorboten einer neuerlich drohenden deutschen Großmacht-Brutalität zu sehen. Der alte Schrecken fuhr den Fußballverzückten nur kurz in die Knochen, als Franz Beckenbauer nach dem Titelgewinn in Rom verkündete: »Es tut mir leid für den Rest der Welt: Aber wenn jetzt noch die DDR-Spieler dazukommen, sind wir auf Jahre hinaus unschlagbar.«
Vielleicht hätte der Kaiser in den Geschichtsbüchern blättern sollen, dann wäre ihm klar gewesen, dass eine ähnliche Ankündigung dem deutschen Fußball schon einmal nicht gut bekommen war. Immerhin gelang es seinem Nachfolger Berti Vogts, 1996 in England der erste gesamtdeutsche Fußball-Europameister zu werden. Als König/Kaiser/Gott wurde er dennoch nie verehrt.
Wie das wiedervereinigte Deutschland insgesamt auf dem europäischen Teppich blieb, hob auch der Fußball nicht ab. Wenn es in den neunziger Jahren so etwas wie einen spezifisch deutschen Zug gab, war es der, den Gegner durch Athletik und Dynamik niederzuringen - jene Tugenden, mit denen noch erfolgreicher Steffi Graf die Damentenniswelt und Michael Schumacher die Formel 1 dominierten.
Den letzten echten Sonderweg in Sachen Fußball hatte Berti Vogts während seiner Amtszeit als Bundestrainer beendet: 1994 versammelte sich die Nationalmannschaft zum letzten Mal in einem Tonstudio, um sich als brummend ungelenker Männerchor zu versuchen. Mit Far away in America verabschiedeten sich die Spieler von der zwanzigjährigen Tradition, die mit »Fußball ist unser Leben, / Denn König Fußball regiert die Welt, / Wir kämpfen und geben alles, / Bis dann ein Tor nach dem andern fällt« begonnen hatte. Das Begräbnis war konsequent. Der altdeutsche Geist, der Heinrich den Löwen zu der Erkenntnis gebracht hatte: »Kampf ohne Sang fehlt der Drang«, und noch Sepp Herberger dazu bewogen haben mochte, seine Elf im Mannschaftsbus Hoch auf dem gelben Wagen anstimmen zu lassen, hatte sich ohnehin verflüchtigt.
Im Edelbus, der Trainer Jürgen Klinsmann und seine »Jungs« bei der Weltmeisterschaft 2006 zu den deutschen Stadien fuhr, lief die elegische Eso-Hymne des Soul-Sängers Xavier Naidoo: »Dieser Weg wird kein leichter sein, / Dieser Weg wird steinig und schwer. / Nicht mit vielen wirst du dir einig sein, / Doch dieses Leben bietet so viel mehr …«
Es war der kongeniale Soundtrack zum »Sommermärchen«. Deutschland: endlich wirklich entspannt. So soft und bunt wie die Hubba-Bubba-Kaugummis, mit denen die nach 1970 Geborenen aufgewachsen waren. »Schwarz-Rot-Gold« mutierte spielerisch zu »Schwarz-Rot-Geil«. Auch als der Traum vom vierten Weltmeistertitel im Halbfinale platzte - die Feier ging weiter. Spätestens da mussten noch die Besorgtesten erkennen: Kein neuer
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