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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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funktionale Formen verdrängen das Bräsig-Behagliche. Wer sich einen »Freischwinger« ins Wohnzimmer stellt, signalisiert, dass er die Zeichen der Zeit erkannt hat - Rückzugskuscheln passe.
    Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, zwingen sie das Bauhaus ins Exil. Und errichten Repräsentationsbauten, im Vergleich zu deren monströser Kälte das Bauhausgebäude Dessau als anheimelnde Puppenstube erscheint. Doch offensichtlich ertragen die Nazis ihren architektonischen Größen- und Kältewahn selbst so wenig, dass es sie in ihrer Freizeit regelmäßig ins Alpenidyll und unters Hirschgeweih zieht. Hitler flieht auf seinen »Berghof« am Obersalzberg, Göring macht es sich in Jagdhütten bequem, und selbst der Urbanste unter dem braunen Gesindel, Goebbels, frönt in seiner Villa auf der Insel Schwanenwerder plüschiger Biederkeit.
    Wohnraum mit Essecke in Haus »Wachenfeld«, das Adolf Hitler zum »Berghof« ausbauen ließ.
    Einen seiner krudesten Ausdrücke findet der nationalsozialistische Spagat zwischen Bombast und Mief in einem Plan, von dem der Oberbaumeister und Rüstungsminister Albert Speer in seinen in späterer Haft verfassten Spandauer Tagebüchern berichtet: »In jedem Großdorf [der eroberten Ukraine] müsse es, so meinte Hitler […], eine Station geben, die immer gleich lautend >Gasthof zur Post< heiße, wie in Bayern auch. Auch hier schlug wieder seine fast zur Manie gewordene Vorstellung durch, der in den Weiten Russlands verlorene deutsche Bauer müsse überall im Osten Anlaufstellen finden, wo er sich heimisch und geborgen fühlen könne.« Laut Speer soll Hitler selbst an Entwürfen für eine neue Art von Eisenbahnen gebastelt haben, deren Wagen sechs Meter breit gewesen wären: Rollende Gemütlichkeitscontainer für erschöpfte Ursupatoren. Obszönität kennt keine Grenzen.
    Doch auch der windhundflinke, lederzähe und kruppstahlharte Kamerad an der Heimatfront braucht seinen Ort, an dem er von allem Marschieren und Strammstehen ausspannen kann. Im Hausbuch für die deutsche Familie, das der Reichsbund für Standesbeamten jedem frisch vermählten Paar in die Hand drückt, rät eine Hannah Böhmer unter der Überschrift »Wie man sich einrichtet« der deutschen Frau, die ihre Berufstätigkeit gern gegen die Ehe eingetauscht hat und lernen soll, wie man mit knappen Mitteln wirtschaftet: »Eine geschmackvolle Zusammenstellung von Tapeten, Gardinen und Möbelbezügen schaffen [sie!] eine schöne Farbenharmonie, die nicht zahlenmäßig berechnet zu werden braucht, und ein paar hübsche Hochzeitsgeschenke, schmissige Sofakissen, eine stimmungsvolle Landschaft an der Wand und eine freundliche Tischdecke geben dem Raum die letzte Note der Behaglichkeit.«
    Das Nazireich wird von den Alliierten eingestampft - das Hausbuch für die deutsche Familie überlebt bis in die sechziger Jahre, nur dass es jetzt vom Bundesverband der deutschen Standesbeamten herausgegeben und (leicht) überarbeitet wird. So erteilt in der Neuauflage nicht mehr Hannah Böhmer ihre Einrichtungsratschläge, sondern eine gewisse Irmgard Schütz-Glück darf dort über die »Gründung des Heimes« schreiben: »Die Wohnung wie die Einrichtungsgegenstände sind unpersönlich. Leben und Wärme erhalten die Räume erst durch die Menschen, die darin wohnen, sie mit ihrem Leben füllen und ihnen ihren persönlichen Stempel aufprägen. Dann erst wird die Wohnung zum Heim, zu einer Stätte der Geborgenheit für die Familie […] Jedes Wohnzimmer muss eine gemütliche Ecke haben. Ein kleiner runder Tisch und ein paar bequeme Sessel versammeln an regnerischen Nachmittagen oder langen Winterabenden die Familie im Lichtkreis der Stehlampe […] Bilder, Vorhänge, Teppiche, Kissen, Tischdecken und Zimmerpflanzen geben dem Raum die persönliche Note und die Gemütlichkeit.«
    Vorbei die Zeit, in der selbst Sofakissen noch »schmissig« zu sein hatten - willkommen im zweiten deutschen Biedermeier!
    Die 68er packen ihre Äxte aus, um das »Gelsenkirchener Barock« zu zerlegen, mit dem die deutschen Väter und Mütter des Wirtschaftswunders ihre Vergangenheit zumöbliert haben. Auch wenn er in seiner Jugend selbst gern in der WG-Küche sitzt, Rotwein trinkt, Kerzen in leere Rotweinflaschen steckt und Räucherstäbchen anzündet, reagiert der Intellektuelle der alten Bundesrepublik allergisch auf den Begriff »Gemütlichkeit«. In Deutsche Stichworte, einem »kritischen« Essaysammeiband aus dem Jahre 1984, wird gewarnt, dass »Gemütlichkeit«

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