Die Deutschen
Zeit die Verpflegung immer schlechter geworden. Der Unterschied zwischen der Beköstigung der Mannschaften und derjenigen der Offiziere wirkte in der Marine viel aufreizender als beim Landheer, weil Mann und Offiziere an Bord dauernd eng beieinander lebten. Auf den Schiffen bestand eine besondere Mannschaftsküche und eine besondere Offiziersküche. In den Klagen, die damals aus Mannschaftskreisen erhoben wurden, kehrte die Behauptung immer wieder, daß Lebensmittel, die für die Mannschaftsküche bestimmt waren, besonders Eier, Butter und Schmalz, in die Offiziersmessen wanderten, wo trotz der allgemeinen Not noch immer gut gegessen und getrunken wurde. Das Mannschaftsessen dagegen sei meist ein undefinierbares Labskaus oder schlechtes Dörrgemüse ohne Fleisch und Fett. Der Oberheizer Sachse, einer der zum Tode Verurteilten und zu fünfzehnjähriger Zuchthaushaft Begnadigten, erklärte mir später, daß die Verpflegung im Zuchthaus in Rendsburg noch 1918 besser gewesen sei als 1917 die Mannschaftsverpflegung an Bord des Flottenflaggschiffes »Friedrich der Große«. Besonders aufreizend wirkten die Verpflegungsmißstände auf die Heizer, denen die Sonderzulagen an Fett oder Wurst, die ihnen für den schweren Dienst an den Feuern zustanden, oft gekürzt oder ganz entzogen wurden, und zwar nach ihrer Meinung zu Gunsten der Offiziere.
Es herrschte deshalb über diese Zustände, die nach der Überzeugung der Mannschaften nicht nur durch den allgemeinen Mangel an Lebensmitteln im Lande, für den sie durchaus Verständnis hatten, sondern wesentlich durch das allem kameradschaftlichen Geist hohnsprechende Verhalten der Offiziere verschuldet waren, eine mehr und mehr sich steigernde Unzufriedenheit und Erbitterung gegen die Offiziere an Bord der Schiffe.
Als weitere Quelle der Unzufriedenheit wurde angegeben die Art, in der die unterernährten Mannschaften in stundenlangem Exerzierdienst gedrillt würden, während es sich vielfach um Leute handelte, die bei Kriegsausbruch bereits drei oder gar vier Jahre dienten und nun schon im sechsten oder siebten Jahr an Bord waren, bei denen also kurzer Exerzierdienst zur Aufrechterhaltung der militärischen Bereitschaftsnotwendigkeit durchaus genügt hätte. Dazu seien eine oft rohe Behandlung der Mannschaften durch Schimpfen und Tätlichkeiten gekommen. Zechgelage und schlechtes Beispiel der Offiziere in moralischer Hinsicht hätten die Erbitterung gesteigert, ebenso nach Ansicht der Mannschaften ungerechte und willkürliche Handhabung der Urlaubserteilung, über die sehr viel geklagt wurde.
Die Erbitterung gegen die Offiziere wurde noch verschärft durch deren Versuche, auf die Mannschaften im Sinne eines alldeutschen Siegfriedens einzuwirken, während die Mannschaften den Krieg als Verteidigungskrieg auffaßten. Derartige Klagen wurden 1917 vielfach an die Abgeordneten fast aller Parteien herangetragen, teils von den Matrosen und Heizern selbst, teils von ihren Verwandten und Freunden, sowohl mündlich wie schriftlich. Ein Matrose sagte mir damals, an Bord seien zwei Welten eng beieinander, eine Welt der Herren und eine Welt der Sklaven.
Die Mißstimmung und Unzufriedenheit der Mannschaften kam zum ersten Mal zu einem äußerlich sichtbaren Ausdruck durch den sogenannten Hungerstreik auf der ›Prinzregent Luitpold‹, der am 6. Juni 1917 ausbrach. Das Mittagessen, wieder das berüchtigte Dörrgemüse wurde von den Backschaften nicht abgeholt, es wurde bis zum Abend aufgehoben und dann weggeschüttet, ohne daß den Mannschaften etwas anderes dafür verabfolgt worden wäre. Die Leute haben sich beschwerdeführend an den Ersten Offizier, Korvettenkapitän Herzbruch, gewendet, der ihnen aber kein Entgegenkommen zeigte, sondern sie nur, wie es in den Akten heißt, ›auf das Unrichtige und Unpatriotische ihres Verhaltens aufmerksam machte‹. Dieser Vorfall ist den Marine- und Gerichtsbehörden erst bei den Ermittlungen über spätere Vorfälle zur Kenntnis gekommen: ebenso war es bei den anderen Fällen, über die ich zunächst berichte. In Wilhelmshaven und auch im Binnenlande waren bald allerlei Gerüchte über diesen Hungerstreik im Umlauf, bei denen mit der Entfernung meist auch die Bedeutung des Geschehenen wuchs.
Ein ebenfalls erst später weiteren amtlichen Kreisen zur Kenntnis gekommener Vorfall ereignete sich am 4. oder 5. Juli auf dem Flaggschiff ›Friedrich der Große‹. Bei einer Nachtschießübung, die bis 1 Uhr nachts gedauert hatte, hatten die Mannschaften das
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