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Die Deutschen

Die Deutschen

Titel: Die Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Artur Müller
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Grundfesten des kaiserlichen Regimes.
    spd- wie uspd -Führer müssen weiter nach links rücken, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, ihre Gefolgschaft zu verlieren. Der spd -Abgeordnete Scheidemann malt im Reichstag das drohende Gespenst der Revolution an die Wand – wenn die Regierung nicht auf alle Annexionen verzichte.
    Am 9. Juli 1917 tagt der Kronrat. In Anwesenheit des Kaisers wird beraten, was man unternehmen könne, um den Druck der Massen zu mildern oder abzufangen und den Krieg fortzusetzen.
    Erster Schachzug: Am 11. Juli verkündet der Kaiser aus dem Großen Hauptquartier: »… bestimme Ich hiedurch …, daß der dem Landtage der Monarchie zur Beschlußfassung vorzulegende Gesetzentwurf wegen Abänderung des Wahlrechtes zum (preußischen) Abgeordnetenhaus auf der Grundlage des gleichen Wahlrechts aufzustellen ist …«
    Zweiter Schachzug: Entlassung des Reichskanzlers Bethmann Hollweg. Dem Kaiser ist er nicht mehr genehm, den Junkern seit je zuwider, den Alldeutschen zu »schlaff« und dem Reichstag ein Hindernis auf dem Wege der Demokratisierung. Aber der entscheidende Mann ist General Ludendorff. Er schreibt am 12. Juli: »An des Kaisers und Königs Majestät! … Euer Majestät wissen, daß es für mich als verantwortliches Mitglied der Obersten Heeresleitung unmöglich ist, zu dem Herrn Reichskanzler das Vertrauen zu haben, das als Grundlage für eine nützliche Zusammenarbeit zwischen dem Reichskanzler und der Obersten Heeresleitung zur glücklichen Beendigung des Krieges unerläßlich ist, nachdem der Krieg nicht mehr auf rein kriegerischem Gebiete ausgefochten werden kann …«
    Und der Generalfeldmarschall von Hindenburg richtet ein Schreiben unter dem gleichen Datum »An des Kaisers und Königs Majestät! Der Kriegsminister teilt mir mit, daß der Reichstag eine Erklärung über ein Friedensangebot beabsichtige, das als Verzichtfrieden aufgefaßt werden könnte. Ich hege gegen eine solche Erklärung die allerschwersten Bedenken … Euer Majestät darf ich in Rücksicht auf das Heer alleruntertänigst bitten, der Reichsleitung aufzugeben, daß sie eine solche Erklärung verhindere …«
    Dritter Schachzug: Am 20. Juli stimmen die Mehrheitsparteien im Reichstag einer Resolution zu, die in ihrem ersten Absatz besagt: »Wie am 4. August 1914 gilt für das deutsche Volk an der Schwelle des vierten Kriegsjahres das Wort der Thronrede: Uns treibt nicht Eroberungssucht. Zur Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit und für die Verteidigung seines territorialen Besitzstandes ergriff Deutschland die Waffen. Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietsabtretungen, politische und wirtschaftliche und finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar …« Am Horizont zieht die Fata Morgana der »Stockholmer Friedenskonferenz« auf, die Zusammenkunft sozialistischer Parteien Europas, von der viele glauben, sie könne, ein Allheilmittel, den Völkern die eigene Anstrengung zum Frieden ersparen.
    Der Sozialdemokrat Scheidemann indessen erklärt, worauf es ankäme, sei »die Stellungnahme des Kaisers, angesichts der großen Macht, die er nun einmal hat«.
    Doch dem Kaiser fällt nicht mehr ein, als einen Dr. Michaelis, den er gar nicht kennt, zum Reichskanzler zu ernennen, nur weil er ihm von der Obersten Heeresleitung vorgeschlagen wird.
    Der Krieg geht weiter. Weiter verbluten die Soldaten. Und weiter hungern ihre Familien.
    In den »Spartakusbriefen« Nr. 6 vom August 1917 steht: »Preußen-Deutschland hat vor kurzem eine Krise durchgemacht. Ein großes Rauschen im bürgerlichen und regierungssozialistischen Blätterwald, ein geheimnisvolles Munkeln in parlamentarischen Kreisen, ein geschäftiges Hin- und Herlaufen der Reichstagsabgeordneten verkündete der erstaunten Welt, daß gewaltige Dinge am Werke seien: ein parlamentarisches System für das Deutsche Reich, allgemeines gleiches Wahlrecht für Preußen, eine offene Absage an alle annektionistischen Absichten, eine gründliche Erneuerung des Regierungspersonals vom Reichskanzler bis zum Laufburschen im preußischen Polizeiministerium herab – alles dies und noch einiges Schöne mehr …
    In der Wandelhalle des Reichstags war es, wo der unerhörteste Umsturz der Weltgeschichte eingefädelt ward, und das Zaubermittel, das ihn zur Durchführung bringen sollte, war ein Rütlischwur von vier Parteien des Reichstages: Zentrum, Fortschrittlern, Nationalliberalen

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