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Die Deutschen

Die Deutschen

Titel: Die Deutschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Artur Müller
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sozialdemokratische Staatssekretäre in Preußen mit Kommunistenführern konspirierten. Schließlich unterschreibt Hindenburg die beiden Notverordnungen.
    Mit diesen Staatsstreichpapieren in der Tasche lädt Papen den stellvertretenden Ministerpräsidenten Hirtsiefer und den Innenminister Severing, der die preußische Polizei kommandiert, zu sich in die Reichskanzlei. Angeblich sollten »finanz- und agrarpolitische Angelegenheiten« besprochen werden. Als sich die preußischen Minister jedoch am 20. Juli zehn Uhr vormittags in der Reichskanzlei melden, erklärt ihnen Papen, die Reichsregierung sehe sich zu ihrem Bedauern gezwungen, das Amt des Ministerpräsidenten und des Innenministers kommissarisch zu übernehmen. Severing erhebt Einspruch, Papen appelliert an die »staatsmännische Einsicht« des Sozialdemokraten. Während man noch verhandelt, gibt Papen einem an der Tür wartenden Offizier einen Wink, das verabredete Zeichen für die Maßnahmen zur Auslösung des Ausnahmezustandes. Die Reichswehrführung strebt danach, so schnell wie möglich die Polizeigewalt in die Hände zu bekommen, weil ihr die Berliner Polizei zahlenmäßig überlegen ist. Praktisch stehen Rundstedt nur das Berliner Wachregiment und auf dem Truppenübungsplatz Döberitz nicht alarmierte Einheiten zur Verfügung. Dagegen unterstehen dem Polizeipräsidenten von Berlin Grzesinski rund 15000 Mann Schutzpolizei und etwa 5000 andere Polizeiangehörige. Aus diesem Grund arbeiten Regierung und Reichswehrführung mit Überraschungstaktiken. Als der Ministerpräsident Braun, der von den Vorgängen telefonisch benachrichtigt wird, sich in seine Amtsräume begeben will, wird ihm mitgeteilt, er könne das besetzte und abgeriegelte Haus nicht betreten. Um den Polizeipräsidenten Grzesinski, den Vizepräsidenten Weiß und den Kommandeur der Schutzpolizei Heimannsberg abzusetzen, bedarf es nur eines Hauptmanns vom iii . Bataillon des Infanterieregiments Spandau und dreier Feldwebel. Hauptmann Hauffe überbringt den dreien je einen Brief des Generals Rundstedt, in dem ihnen mitgeteilt wird, daß sie auf Grund der Verordnung des Reichspräsidenten »ihrer Stellung enthoben« seien und im Weigerungsfalle in Schutzhaft genommen würden. Weiß erklärt, daß ein Beamter, wenn ihm kein Disziplinarvergehen nachgewiesen wird, nicht entlassen, sondern nur an der »Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit« gehindert werden könne. Rundstedt leitet ihnen daraufhin durch Hauptmann Hauffe drei neue Schreiben zu, in denen er sie nicht mehr »ihrer Stellung enthebt«, sondern Ihnen die »Ausübung ihrer dienstlichen Tätigkeit« untersagt. Die drei weigern sich, ihr Einverständnis schriftlich zu bestätigen. Darauf werden sie in »Schutzhaft« genommen. Auf besonderen Wunsch des Reichspräsidenten läßt sie Rundstedt nicht in die Offiziersarrestanstalt überführen, sondern in »Kavaliershaft« in das Offizierskasino des Wachregiments bringen. Nun unterschreiben die drei, daß sie auf jegliche dienstliche Tätigkeit verzichten und auch keine Verbindung mehr mit ihren alten Dienststellen aufnehmen würden. Daraufhin werden sie nach kurzer Zeit wieder entlassen.
    Schlagartig werden die öffentlichen Gebäude, nach einem genauen Plan durch die Reichswehr besetzt. Noch ehe in Berlin irgend jemand etwas merkt, ist der Staatsstreich vollzogen. Aber am Nachmittag des gleichen Tages ruft ein Flugblatt der kpd zum Massenstreik auf; ihr Zentralkomitee wendet sich an die Führung der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften und schlägt ihnen vor, den Generalstreik gegen die Militärdiktatur zu proklamieren. Doch die spd lehnt Kampfmaßnahmen ab.
    Die preußische Regierung klagt gegen das Reich: es dauert ein Vierteljahr, bis der Staatsgerichtshof ein salomonisches Urteil fällt, das an den Machtfragen nichts mehr ändert. Das sozialdemokratische Preußen, das größte Hindernis für eine Diktatur in ganz Deutschland, ist durch einen kalten Staatsstreich beseitigt.

    Chronik 1932–1933
    Staatsstreich und Machtergreifung durch Adolf Hitler. 1933

    1932 31. Juli: Straßenkämpfe am Tag der Reichstagswahlen fordern 9 Tote und viele Verletzte. Die nsdap steigert ihre Mandate von 107 auf 230 und zieht als stärkste Partei in den Reichstag ein.
    September-November: Gegen die Notverordnungsmaßnahmen vom 4. und 5. Dezember entwickeln sich etwa 1100 Streiks, vorwiegend in Klein- und Mittelbetrieben.
    3.–7. November: Streik von 22000 Arbeitern der Berliner Verkehrsgesellschaft (bvg)

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