Die Deutschen
Ergebnis der Wahlen bringt trotz des Terrors der nsdap nicht die verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Inzwischen verhaftet man den Führer der kommunistischen Reichstagsfraktion Torgier und drei angebliche »Kominternagenten«, darunter den Bulgaren Dimitroff. Sie sollen neben dem Brandstifter van der Lubbe die Angeklagten des kommenden Schauprozesses um den Reichstagsbrand sein.
Aber noch bedarf der Staatsstreich seiner verfassungsmäßigen Legalisierung. Die 82 kommunistischen Abgeordneten sind bereits ausgeschaltet: sie sind verhaftet oder im Untergrund, oder sie haben Deutschland verlassen. Das vorbereitete Ermächtigungsgesetz, nach dem in Zukunft alle Gesetze durch die Reichsregierung direkt beschlossen werden können, auch wenn sie von der Reichsverfassung abweichen, bedarf der verfassungsändernden Mehrheit des Parlaments. Neben den Stimmen der Deutschnationalen brauchen die Nationalsozialisten noch die 73 Stimmen der Zentrumsabgeordneten. Nur mit Hilfe einer Intrige gelingt es ihnen im letzten Augenblick, die Stimmen dieser Zentrumsabgeordneten zu gewinnen, die kurz nach der Abstimmung feststellen müssen, daß sie betrogen worden sind.
Die einzige Fraktion, die geschlossen gegen das Ermächtigungsgesetz stimmt, ist die sozialdemokratische. Ihr Vorsitzender Otto Wels wagt es, Hitler vor aller Welt entgegenzutreten: »Aus einem Gewaltfrieden kommt kein Segen, im Innern erst recht nicht. Eine wirkliche Volksgemeinschaft läßt sich auf ihn nicht gründen. Ihre erste Voraussetzung ist gleiches Recht … Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, daß sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt … Noch niemals, seit es einen deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie das jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll.«
Hitler läßt jetzt die Maske fallen. Obwohl ihn Papen zurückzuhalten versucht, tritt er zum zweitenmal ans Rednerpult und schreit den Sozialdemokraten zu: »Ich glaube nun einmal aus den eigenen politischen Erfahrungen, die ich mit Ihnen gemacht habe, daß das Recht allein noch nicht genügt, man muß auch die Macht besitzen! Und verwechseln Sie uns nicht mit einer bürgerlichen Welt. Sie meinen, daß Ihr Stern wieder aufgehen könnte. Meine Herren, der Stern Deutschlands wird aufgehen, und Ihrer wird sinken.«
Das auf vier Jahre befristete und später automatisch verlängerte Ermächtigungsgesetz war bis zum Jahre 1945 das Grundgesetz der Diktatur.
Chronik 1933–1934
Der Röhm-Putsch. 30. Juni 1934
1933 24. März: Das Präsidium des Reichsverbandes der deutschen Industrie dankt Hitler für die Sicherung der Wirtschaft vor »Störungen« und »politischen Schwankungen«.
1. April: Die Nationalsozialisten organisieren eine terroristische Boykottaktion gegen die jüdische Bevölkerung.
Das »Gesetz über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen« ermächtigt die Landesregierungen, die Betriebsrätewahlen bis zum September auszusetzen und unerwünschte Betriebsräte zu entfernen.
7. April: Juden und »politisch Unzuverlässige« werden durch das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« aus dem Staatsdienst entlassen.
26. April: Zur Verfolgung der »Staatsfeinde« wird das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapo) in Preußen gebildet.
2. Mai: Die Gewerkschaftshäuser in Deutschland werden durch sa besetzt und zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre verhaftet.
10. Mai: Bücherverbrennung auf dem Opernplatz in Berlin und vielen öffentlichen Plätzen deutscher Universitätsstädte. »Säuberung« öffentlicher und privater Bibliotheken. Auftakt zur Verfolgung humanistisch gesinnter Vertreter der Literatur, Kunst und Wissenschaft.
21. Juni: In der »Köpenicker Blutwoche« in Berlin werden Hunderte von Sozialdemokraten, Kommunisten und Gewerkschaftlern verschleppt und mißhandelt; über 90 Menschen werden zu Tode gefoltert.
22. Juni: Offizielles Verbot der spd. Verschärfung der Verfolgung ihrer Mitglieder.
14. Juli: Nachdem alle bürgerlichen Parteien und Organisationen sich selbst aufgelöst haben, garantiert das »Gesetz gegen die Neubildung von Parteien« die Monopolstellung der nsdap .
1934 20. Januar: Das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« verfügt
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