Die Deutschen
zurückgelassen. Der Kaiser rechnete unaufhörlich. Durch Rückgriff auf Rekrutenbestände und Neuaushebungen wollte er 130000 Soldaten zusammenbringen. Er rechnete sich eine Gesamttruppenstärke von 450000 Mann aus. An der Ausrüstung und Ausbildung der neuen Armee wurde sofort fieberhaft gearbeitet.
Lacepede, der Vorsitzende des Senats, bat Napoleon alleruntertänigst, der eineinhalbjährige König von Rom möge gekrönt werden »als Symbol der Kontinuität des Regimes«. Und der gesamte Senat verbeugte sich dreimal stumm vor dem auf dem Thron sitzenden Kaiser, der nur seinen neuen Feldzugsplan gegen Rußland im Sinne hatte.
Natürlich war die erste Frage, die sich auch Napoleon stellte: Werden die Russen in diesem Kampf allein stehen? Noch weiß niemand, was bei dem Korps von 30000 Mann geschieht, das Marschall MacDonald befehligt. Er steht mit seinen Truppen noch immer in Kurland, da Napoleon offenbar vergessen hatte, ihm den Befehl zum Abzug zu erteilen. Marschall Murat stellt diesen Befehl aus und übergibt ihn einem Offizier der verbündeten preußischen Armee, die MacDonald unterstellt ist, der aber erst am 18. Dezember in Mietau eintrifft. General Yorck, ein Mann von einigen fünfzig Jahren, der Befehlshaber des preußischen Hilfskorps, hatte von seinem Oberbefehlshaber bereits Berichte von der Abreise des Kaisers und der Auflösung des französischen Heeres empfangen.
Als MacDonald den Rückmarschbefehl erhält, ist er sehr besorgt, denn sein Korps besteht zu zwei Dritteln aus Preußen. Es gibt ein offizielles und ein geheimes Verhältnis zwischen Preußen und Rußland. Das offizielle Preußen unter König Friedrich Wilhelm iii . ist mit den Franzosen verbündet, und für Napoleon ist es ein Vasallenstaat, dessen König er zum Befehlsempfänger degradierte, dessen Adel er korrumpierte, dessen Bürgertum er ausbeutete, und deren Söhne er als Kanonenfutter in seinen Schlachten verwandte. Der König von Preußen, ein Stockreaktionär, sperrte sich gegen alle fälligen Reformer. Er entließ die fähigsten Männer seines Staates, die diese Reformen konzipierten und zum Teil auch gegen seinen Willen durchführten, und leistete damit seinem Oberherrn Napoleon den größten Dienst. Der bedeutendste aller preußischen Staatsmänner, der Freiherr vom Stein, der durch seine Reformen den Grund zur staatlichen, sozialen und geistigen Neuordnung in Preußen gelegt hatte, wurde von ihm entlassen, noch ehe Napoleon ihn geächtet und befohlen hatte, ihn, wo man ihn treffe, vor ein Standgericht zu stellen und binnen vierundzwanzig Stunden zu erschießen. Vor dieser Drohung war Stein nach Prag geflohen. Dort erreicht ihn ein Schreiben des Zaren Alexander, das vom 27. März 1812 datiert ist und in dem es heißt: »Die Achtung, die ich immer für Sie hegte, hat keine Änderung durch die Ereignisse erlitten, welche Sie von dem Steuer der Geschäfte entfernten. Es ist die Energie Ihres Charakters und Ihre ausnehmenden Talente, die sie Ihnen erworben haben. Die entscheidenden Umstände des Augenblicks müssen alle wohldenkenden Wesen, Freunde der Menschlichkeit und der freisinnigen Ideen, wieder verbinden. Es handelt sich darum, sie vor der Barbarei und der Knechtschaft zu retten, die sich bereiten, um sie zu verschlingen. Napoleon will die Knechtung Europas vollenden und, um dies zu erreichen, muß er Rußland niederwerfen. Schon lange bereitet man sich hier für den Widerstand vor, und die kräftigsten Mittel sind hier seit langer Zeit versammelt. Die Freunde der Tugend und alle von dem Gefühl der Unabhängigkeit und Liebe zur Menschheit belebten Wesen werden vom Erfolge dieses Kampfes betroffen. Sie, Herr Baron, der sich auf eine so glänzende Art unter ihnen ausgezeichnet hat, Sie können kein anderes Gefühl hegen, als das, zu dem Erfolge der Anstrengungen beizutragen, welche man im Norden machen wird, um über Napoleons eindringenden Despotismus zu triumphieren. Ich lade Sie auf die inständigste Weise ein, mir Ihre Gedanken mitzuteilen, sei es schriftlich, auf eine sichere Weise, sei es mündlich, indem Sie zu mir nach Wilna kommen … Ich habe nicht nötig, Ihnen zu versichern, daß Sie in Rußland mit offenen Armen empfangen werden.«
Bald wird in Petersburg ein »Deutsches Komitee« gegründet, dessen Aufgabe es ist, illegale Propaganda unter den deutschen Soldaten der Großen Armee zu treiben und in Deutschland für eine Volkserhebung gegen den Willen der Fürsten zu werben. Stein erklärt über die Rolle der
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