Die Deutschen
laut. Die Massen brüllen auf. Schließlich dringt ein Volkshaufen in die oberen Räume des Landhauses, zerstöret die Möbel und schleudert sie auf die Köpfe der Soldaten. Nun krachen zwei Salven in das Landhaus, zahlreiche Verwundete und Tote bleiben zurück. Empörung erhebt sich in ganz Wien: »Man hat unsere wehrlosen Brüder gemordet! Zu den Waffen!« Und zu den aufrührerischen Massen tritt ein neues Element: das uniformierte, bewaffnete Bürgerkorps. Die Studentenschaft verlangt ungestüm nach Waffen, droht mit der Erstürmung des Zeughauses und zwingt den vor Angst zitternden Rektor, sich vor die Staatskonferenz zu begeben und die Bewaffnung der Studenten zu fordern. Fürst Metternich ruft den Abgesandten, die die Wünsche der Volksmassen vortragen, zu: der Pöbel sei nur durch französische, polnische und schweizerische Sendlinge verführt; er fordert die »Bittsteller« auf, dem »Straßenkrawall« ein Ende zu machen. Die Angesprochenen erklären: »Das ist kein Krawall, sondern eine Revolution!«
Inzwischen hat sich unter den in der Staatskanzlei versammelten Abgeordneten die Kunde verbreitet, daß aus dem Polizeigebäude auf Bürger in Uniform geschossen worden sei. Die Erregung steigt. Die Staatskonferenz sieht ein, daß sie zur Beschwichtigung der Massen ein Zugeständnis machen müsse. Und sie gibt die Zensur preis. Nachdem sich Fürst Metternich in das Nebenzimmer begeben hat, um den Entwurf eines Pressegesetzes niederzuschreiben, wird – zuerst von der Grafenbank aus – der Ruf laut, Metternich solle abdanken. Metternich tritt aus dem Nebenraum. Niemand spricht ein Wort zu seinen Gunsten. Darauf erklärt der Fürst: »Es ist die Aufgabe meines Lebens gewesen, für das Heil der Monarchie von meinem Standpunkt aus zu wirken; glaubt man, daß das Verbleiben auf solchem das Heil gefährde, so kann es für mich kein Opfer sein, meinen Posten zu verlassen.« Ein alter Bürgeroffizier erklärt: »Durchlaucht, wir haben nichts gegen Ihre Person, aber alles gegen Ihr System, und darum müssen wir wiederholen: nur durch Ihre Abdankung retten Sie den Thron und die Monarchie.«
Der Staatsmann, der seit 27 Jahren der Leiter der deutschen und europäischen Reaktion gewesen ist, wird so für immer von der Macht, ja, vom politischen Schauplatz überhaupt verdrängt. Mit ihm hat auch das alte System abgewirtschaftet. Eine neue Zeit bricht an. Metternich, dessen Sommerwohnung von einem Volkshaufen gestürmt wird, verläßt noch am gleichen Abend Wien und Österreich. Der Staatskonferenz werden nacheinander folgende »Märzerrungenschaften« abgetrotzt: Bewilligung der Volksbewaffnung; Bewaffnung und Organisierung einer Studentenlegion; Genehmigung zur Bildung einer Bürgerwehr oder Nationalgarde neben dem privilegierten Bürgerkorps; endlich die volle Pressefreiheit. Am längsten sträubt sich die Staatskonferenz gegen die Verheißung einer Verfassung. Der alters- und geistesschwache Kaiser Ferdinand hält eine Konstitution für das größte Übel, für den Todesstoß, der sowohl die monarchische Würde und Macht, als auch den Staat ins Herz treffen müsse.
Aber das Volk von Wien verlangt so ungestüm nach der Verfassung, daß der Kaiser schließlich folgendes Manifest erlassen muß: »Wegen Einberufung von Abgeordneten aller Provinzialstände in der möglichst kürzesten Frist mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes und unter Berücksichtigung der bestehenden Provinzialverfassungen zum Behufe der Konstitution des Vaterlandes ist das Nötige verfügt.«
Kaiser Ferdinand schwingt dabei sogar eine schwarzrotgoldene Fahne zum Fenster der Burg hinaus.
»Die Lösung des großen politischen Dramas ist gefunden, die Revolution vollendet«, so verkündet ein Wortführer der Bewegung. Schon wenige Tage später versucht die Regierung, einige der eben gewährten Freiheiten wieder zurückzunehmen oder abzuschwächen. Aber noch hält das Bündnis zwischen bewaffnetem Bürgertum, Studenten und Arbeitern: das drohende Schreckgespenst des alten Metternichschen Despotismus schweißt sie zusammen. Die Regierung muß sich fügen.
Wie nebenbei schütteln jetzt die Bauern Österreichs jede Art von Fronknechtschaft ab.
Als die Opfer der Revolution begraben werden, verkünden Inschriften und Fahnen, daß sie für das Vaterland gefallen seien. Geistliche segnen die Toten ein.
In der Burg aber sitzt ein mehr oder weniger schwachsinniger Kaiser und begreift von allem gar nichts.
Chronik März 1848
Revolution in Berlin.
Weitere Kostenlose Bücher