Die Diagnose: Thriller (German Edition)
weiterbehandeln zu lassen, vibrierte mein Pager – eine Aufforderung, die Verwaltungsdirektorin aufzusuchen.
Sarah Duncans Büro lag in einer Ecke des Shapiro-Pavillons mit Blick über die Queensboro Bridge, der hier völlig vergeudet war. Ihre beiden Assistentinnen – Zwillinge – waren blass und hübsch, Mitte zwanzig und mit kurzen Röcken und klobigem Modeschmuck makellos gekleidet. Eine reichte mir eine Flasche Wasser aus einem kleinen Kühlschrank und entschuldigte sich pro forma, weil Duncan mich warten ließ, was der normale Lauf der Dinge zu sein schien. Dann wandte sie sich wieder ihren E-Mails zu. Da sonst niemand die Aussicht bewunderte, betrachtete ich die Autos, die über die Brücke von Queens nach Manhattan rumpelten. Zwischen den Stahlträgern waren die Williamsburg Bridge und die fernen Ausläufer von Brooklyn zu sehen, während eine Seilbahn in einer Schleife nach Roosevelt Island fuhr.
»Dr. Cowper?«, sagte eine leise Stimme von der Tür, und ich fuhr überrascht zusammen. »Kommen Sie bitte herein.«
Duncan hatte durchscheinende Augen, graue Haare, die zu einem Bubikopf geschnitten waren, und ein Gesicht, das zu glatt war, um natürlich zu sein. Sie machte mir Angst. Ich folgte ihr in ein kühles Eckbüro, das akribisch aufgeräumt war − kein Blatt Papier am falschen Ort, ein Sofa, zwei Sessel und ein Glastisch, auf dem zwei dicke Akten lagen, ein Füllfederhalter ordentlich daneben. Die Möbel waren nicht das Standardzeug, mit dem der Rest des Krankenhauses zugestellt war. Duncan stand an ihrem Schreibtisch, rückte ein Blatt Papier zurecht und studierte es sorgfältig.
»Dr. Cowper, ich habe hier gerade über Ihre Arbeit gelesen.« Sie tippte auf die Akte. »Sehr beeindruckend, muss ich sagen. Sie sind eindeutig ein sehr geschätztes Mitglied des Teams«, sagte sie, als würde sie mir eine unbedeutende Medaille ans Revers heften.
»Vielen Dank, Mrs Duncan. Das ist sehr freundlich.«
»Ich habe Sie doch nicht bei irgendwas gestört, oder? Sie haben doch sicher ein paar Minuten für mich?«
»Es klang, als wäre es dringend.«
»Das ist etwas, was ich an Ärzten liebe − stets auf einen Notfall gefasst«, sagte sie mit einem kurzen Lachen und bedeutete mir, mich ihr gegenüber aufs Sofa zu setzen. Es gab eindeutig ein paar andere Dinge, die sie an Ärzten nicht liebte. »Dies ist wohl eine der kniffligsten Situationen, mit denen ich in meiner Zeit hier konfrontiert war.«
»Ich nehme an, Sie meinen Mr Shapiro?«
»Ich bin mit Nora Shapiro befreundet, und ich konnte sie für unseren Verwaltungsrat gewinnen, also liegt mir natürlich daran, alles für sie zu tun, was wir können. Sie haben recht daran getan, ihn aufzunehmen, doch wie ich höre, würde er es jetzt vorziehen, entlassen zu werden.«
»Das hat er mir heute Morgen gesagt.«
»Ich nehme doch an, wir können seinem Wunsch nachkommen.« Sie sah mich unverwandt an.
Es entstand eine Pause, während derer ich überlegte, was ich sagen sollte, abgesehen von: Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram. Sie sind Bürokratin, keine Ärztin. Ich hatte den hippokratischen Eid geschworen, Patienten zu heilen, während sie dafür verantwortlich zeichnete, dass die Finanzen stimmten. Man hatte uns stets versichert, wenn die beiden einmal kollidieren sollten, werde Hippokrates gewinnen.
»Das ist im Augenblick nicht unbedingt angeraten. Ich mache mir Sorgen, ihn in so einem labilen Zustand zu entlassen. Das verstehen Sie sicher.«
Sie seufzte und tippte mit den Fingern auf die Armlehne des Sofas. »Dr. Cowper, Sie sind ein junger Mann, und Sie haben eine lange und hoffentlich bemerkenswerte Karriere vor sich, lassen Sie mich Ihnen also etwas erklären, ganz unter uns. Die Shapiros sind sehr wichtig für die Zukunft dieses Krankenhauses. Ich habe kürzlich mit Nora über unsere Pläne für einen neuen Krebsflügel diskutiert, und sie hat von einer großzügigen Spende gesprochen, die helfen könnte, Tausenden von Menschen das Leben zu retten.«
»Verstehe«, erwiderte ich und verlagerte das Gewicht auf dem Sofa.
Ich erinnerte mich, dass ich Duncans Anruf in der Notaufnahme nicht entgegengenommen hatte, sondern Maisie mit Gesten zu verstehen gegeben hatte, ich sei nicht verfügbar. Wie schlau war ich mir da vorgekommen und wie dumm stand ich jetzt da, inmitten dieses politischen Durcheinanders. Wie konnte ich meine Pflicht, Harry zu helfen, gegen das Leben anderer Menschen aufwiegen, die durch sein Geld gerettet werden könnten? In
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