Die Diagnose: Thriller (German Edition)
einem Zischen fünfundvierzig Etagen über der düsteren Lobby in eine lichtdurchflutete, luftige Welt. Ein paar Minuten saß ich im Empfangsbereich, dann hörte ich Schritte und ein paar Worte zur Begrüßung, und um die Ecke kam raschen Schrittes ein Mann. Ich stand auf, und obwohl wir uns nie begegnet waren und er fünfzehn Zentimeter kleiner war als ich, drückte er mich und schlug mir auf den Rücken.
»Ben, freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, rief er. »Ich bin Joe Solomon. Sie sind Ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen. Er hat immer viel von Ihnen gesprochen. Er ist stolz auf Sie, wissen Sie. Schauen wir mal, was ich für Sie tun kann.«
Er war sehr elegant in seinem Anzug und Seidenkrawatte, doch seine Haare standen in grauen Locken in alle Richtungen, und seine blauen Augen wölbten sich in einem runden, rötlichen Gesicht, das andeutete, dass die Kleider ihn gerade eben so fassten. Sein Akzent klang nach Südstaaten. Ich hatte noch nie von ihm gehört. Mein Vater hatte ihn als Freund bezeichnet, aber ich wusste nicht, ob das wirklich stimmte oder ob es nur sein Begriff für jemanden war, der nützlich sein konnte. Doch was Joe mir über die Wertschätzung meines Vaters berichtete, rührte mich. Selbst gesagt hatte der es mir nämlich nie.
Wir gingen in Joes Büro, das in einer Ecke lag mit Blick nach Süden über den Hafen. Was auch immer er tat, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, es schien ihm zu gelingen. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und legte die Füße, ein Bein über das andere, auf den Tisch.
»Was hat Ihr Vater Ihnen über mich erzählt?«, fragte er.
»Nur dass Sie ein Freund sind und dass er Ihnen vertraut.«
Er strahlte. »Also, das ist schrecklich nett von ihm. Er ist ein Gentleman, Ihr Vater. Wir haben uns vor ein paar Jahren bei einer juristischen Tagung in Las Vegas kennengelernt. Tagsüber war das eine ganz schön trockene Angelegenheit, aber nachts haben wir uns amüsiert, ich sag’s Ihnen.«
Ich lächelte höflich. In Las Vegas konnte das alles bedeuten, und ich kannte Joe nicht gut genug, um Vermutungen anzustellen – und meinen Vater womöglich auch nicht. Ich war erleichtert, hier zu sein, und froh, jemanden zu haben, der mich beschützte, doch ich war unsicher, was ich ihm erzählen sollte. Ich hatte meinen Patienten in Riverhead besucht, wie es meine Pflicht war, und ich hatte mit Harrys Frau gesprochen. Beides war nicht unvorschriftsmäßig gewesen. Doch ich hatte auch etwas getan, wovon er mir wahrscheinlich abraten würde, wenn er es wüsste. Ich hatte Anna angerufen, nachdem sie mich an der Wohnungstür der Shapiros stumm dazu aufgefordert hatte. Den Fall mit jemandem zu diskutieren, der womöglich ein Zeuge war und meinem ehemaligen Patienten nahestand, war weder juristisch noch medizinisch angeraten, aber ich hatte mich nicht beherrschen können. Ich wollte mehr über Harry wissen. Und wenn ich ganz ehrlich war, sehnte ich mich auch nach ihr.
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu empfangen, Mr Solomon.«
»Zum Teufel, vergessen Sie es. Abgesehen davon, dass ich Rogers Sohn sehr gern helfe, um beim Fall Shapiro dabei zu sein, würde ich sogar kostenlos arbeiten. Also, jedenfalls für das, was die Versicherung zahlt. Was ungefähr auf dasselbe hinausläuft. Ich erzähle Ihnen erst einmal etwas über mich. Ich bin ein etwas ungewöhnliches Tier. Die Kanzlei macht hauptsächlich Zivilsachen, Gesellschaftsrecht, Steuerrecht und so weiter. Viel Geld, aber wenig Spaß. Und dann hat sie mich. Wenn unsere Mandanten erfinderisch werden, übernehme ich die Strafverteidigung. Ich bin wie die Typen, die in der U-Bahn werben, nur ein bisschen exklusiver.«
»Freut mich zu hören«, sagte ich, und er kicherte und schlug mit der Hand neben seinen Beinen auf den Tisch, als wären wir schon die besten Kumpel.
»Was für eine Geschichte, eh?«, meinte er und setzte ein ernstes Gesicht auf. »Wir werden uns in nächster Zeit häufiger sehen. Roger hat mir erzählt, was passiert ist. Klingt, als wären Sie da in eine ernste Sache hineingeraten, aber ich weiß, dass es nicht Ihre Schuld war. Sie haben Ihr Bestes getan, um diesen Typ zu behandeln, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete ich. Er hatte es besser formuliert, als ich es gekonnt hatte. Wie tröstlich, einen Profi an meiner Seite zu wissen.
»Roger sagte, die Polizei von Suffolk County hat Ihnen förmlich aufgelauert. Sollte das noch einmal vorkommen, sagen Sie
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