Die Diagnose: Thriller (German Edition)
steht, werden Sie das überleben.«
»Ich habe da eine Frage«, sagte ich. »Spielt es eine Rolle, dass die Verwaltungsdirektorin des Episcopal mir quasi befohlen hat, Mr Shapiro zu entlassen?«
Es verschaffte mir eine kleine Befriedigung, Joe damit zu überraschen. Er hob die Füße vom Tisch, wo sie während seiner kleinen Ansprache gelegen hatten, und setzte sich im Stuhl auf.
»Hat sie das?«, fragte er.
»Ja, allerdings. Harry wollte unbedingt nach Hause, und sie hat mich darauf hingewiesen, dass die Shapiros dem Krankenhaus in der Vergangenheit großzügige Summen gespendet haben. Sie hat mich aufgefordert, nach bestem Ermessen zu handeln, aber dafür zu sorgen, dass ich die richtige Entscheidung treffe.«
»Sorgen Sie dafür, dass Sie die richtige Entscheidung treffen«, wiederholte er skeptisch, und mir ging auf, wie nichtssagend es so aus dem Zusammenhang gerissen klang.
»Sie hat ›aber‹ gesagt«, erwiderte ich und kam mir dämlich vor. »›Aber sorgen Sie dafür, dass es die richtige ist.‹ Es war klar, was sie gemeint hat. Sie hat mich in ihr Büro beordert, um sicherzugehen, dass ich gehorche.«
»Mhm.« Joe rieb sich das Kinn. »Ich weiß nicht. Das ist schwierig. Es könnte als strafmildernder Umstand bei einem Verfahren wegen Vernachlässigung der ärztlichen Sorgfaltspflicht helfen, aber Sie müssten es beweisen, und wie wahrscheinlich ist es, dass sie es unter Eid zugibt?«
»Sie behauptet, sie könne sich nicht daran erinnern.«
Er lachte ironisch. »Jede Wette erinnert sie sich daran. Gedächtnisschwund befällt viele, die bei Gericht aussagen müssen. Die Frage ist, ob wir es uns leisten können, sie gegen uns aufzubringen. Wir brauchen das Krankenhaus auf Ihrer Seite.«
»Ist das nicht alles sowieso vertraulich? Kann ich nicht einfach den Mund halten?«
»Ich fürchte nicht. Sobald sich die Verteidigung auf den Geisteszustand des Angeklagten beruft, ist es vorbei mit der ärztlichen Schweigepflicht. Jeder bekommt die Krankenakte zu sehen und Ihre Notizen über die Behandlung. Wenn Sie als Zeuge aufgerufen werden, müssen Sie aussagen. Ich will versuchen, das zu verhindern. Deswegen ist es wichtig, dass Sie denen nichts sagen. Wenn sie nicht wissen, was Sie im Zeugenstand aussagen werden, rufen sie Sie auch nicht auf. Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir sagen möchten?«
Er sah mich an, als wüsste er, dass da wahrscheinlich noch etwas war. Ich dachte an Anna, doch ich besaß nicht den Mut, es ihm zu gestehen. Es hatte etwas zu Persönliches, zu Kindisches − mich mitten in diesem Debakel in die junge Frau zu verlieben. Es war mir peinlich.
»Das war’s so weit«, sagte ich.
Auf dem Weg zum Aufzug klärte Joe mich darüber auf, womit er und mein Vater sich in Vegas die Nächte um die Ohren geschlagen hatten. Es war nichts Verfänglicheres gewesen als ein Abend am Würfeltisch und zwei Abende in einer VIP-Suite mit einer Flasche Bourbon, zumindest behauptete er das. Die Erinnerung daran schien seine Stimmung zu heben.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Uns fällt schon was ein«, sagte er, schüttelte mir die Hand und schlug mir auf die Schulter, bevor die Aufzugtüren sich schlossen. Auf der Fahrt nach unten sinnierte ich darüber, dass mir dauernd irgendjemand sagte, ich solle mir keine Sorgen machen. So langsam machte mich das nervös.
Ich stand auf der anderen Straßenseite des Hauses, in dem die Shapiros wohnten, und sah, wie Anna den Flur mit den Glaswänden herunterkam und am Empfang stehen blieb, um ein paar Worte mit den uniformierten Typen zu wechseln. Sie schienen in ihrer Gegenwart viel gerader zu stehen und wurden um einiges munterer. Dann trat sie in den Hof. Sie trug einen dunkelgrünen Mantel mit samtbesetztem Revers, und ich ging hinüber und grüßte sie.
»Was gibt’s, Doktor?«, fragte sie, als sie vor mir stand. Wir zögerten und überlegten wohl beide, ob wir uns in den Arm nehmen sollten, ließen es dann aber. Ihr die Hand zu schütteln kam nicht infrage, nachdem sie einen Witz darüber gerissen hatte, als sie mich an meiner Wohnung abgesetzt hatte. Also beließen wir es dabei.
»Zu viel für meinen Geschmack«, sagte ich.
»Wenigstens sind die Paparazzi weg. Bis letzte Woche standen hier noch die Übertragungswagen der Fernsehsender. Zum Glück sind sie nicht dahintergekommen, wer ich bin. Die Nachbarn sind genervt, im Aufzug geht es recht frostig zu.«
»Aber Ihnen geht es gut?«
»Ja.«
Sie zog die Augenbrauen hoch und schob trotzig das Kinn
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