Die Diagnose: Thriller (German Edition)
Schlafengehen fertig machte und in den Badezimmerspiegel schaute, tropfte mir Zahncreme übers Kinn. Meine blauen Flecken waren blauschwarz und gelb aufgeblüht, unter den Augen lagen dunkle Ringe, und im Licht der Halogenlampe waren meine Wangen aufgedunsen. Der einzige Trost war, dass Rebecca gute Arbeit geleistet hatte; sie hatte die Platzwunde so sauber vernäht, dass man sie schon fast nicht mehr erkennen konnte. Ich sah mich an und kam mir vor wie ein alternder Boxer: den ganzen Tag über nichts als Körperschläge.
Doch keiner war so schlimm gewesen wie der Streit mit Anna. Irgendetwas hatte dazu geführt, dass sie sich von mir abgewandt hatte, etwas, das sie mir nicht erzählt hatte. Es war mir egal gewesen, dass sie ihr Geheimnis gegenüber den Shapiros wahrte, doch es machte mir etwas aus, dass sie vor mir Geheimnisse hatte. Ich erinnerte mich, wie sie mein Gesicht berührt hatte, der Schock in ihrer Miene, als wäre sie dafür verantwortlich.
Ich kramte in meinem Arzneischränkchen nach etwas, was mich so lange wie möglich außer Gefecht setzen würde. Doch da ging mir auf, dass ich gar nichts brauchte – ich war so müde, dass ich mich nur hinlegen musste, um einzuschlafen. Bevor ich ins Bett ging, hörte ich noch den Anrufbeantworter ab, um zu schauen, ob Nachrichten darauf waren. Zwei Patienten hatten angerufen, um Termine abzusagen, und ein Mann, um mir zu erklären, warum er an dem Tag nicht gekommen war. Ich wollte schon auflegen, als ich eine mir unbekannte Stimme hörte.
Es war Lauren Faulkner.
16
Schon von Weitem kündigten ihre Schritte an, wer da kam. In den Krankenhausfluren schlurfen die meisten Leute eher, selbst die Ärzte, aber Laurens Absätze klapperten durch den Flur. Laut klopfte sie an die Tür, keine Spur von der Unsicherheit meiner psychisch kranken Patienten.
Es war leicht gewesen, etwas über Lauren in Erfahrung zu bringen, nachdem sie mich angerufen hatte, ein Foto von ihr zu finden, herauszukriegen, wie alt sie war − so alt wie ich −, über ihren Magna-cum-laude-Abschluss und ihren Lebenslauf: Highschool in Beverly Hills, dann Yale, anschließend eine Anstellung bei einer Consultingfirma, danach für einen MBA nach Harvard, dann zu Seligman Brothers und dort ein steiler Aufstieg von der Analystin in die Führungsetage der FIG. Ich dachte daran, mit welchen Worten Felix mir in der Gulfstream Underwoods Job erklärt hatte: Ein Banker, der andere Banken berät. Stellen Sie sich das mal vor .
Ein Foto auf der Website ihrer neuen Bank zeigte eine Frau mit dunklem Haar, das sich um ihre Ohren lockte, bevor es sich glättete, als würde es zur Besinnung kommen, und einem unerschrockenen Blick. Ich fand auch noch zwei andere Fotos, eines von einer Benefizveranstaltung in der Stadt und eines von einer Party in Southampton inmitten einer Gruppe von Männern in blauen Blazern. Sie hat hübsche Beine unter diesem Kleid , hatte ich gedacht, doch das Foto an sich war ihr nicht gerecht geworden. Heute trug sie eine Seidenbluse und einen teuren Hosenanzug, der ihre Beine sittsam verhüllte. Ihre Eleganz brachte Licht in den Raum.
»Dr. Cowper? Ich bin Lauren«, sagte sie.
»Kommen Sie herein, Ms Faulkner.«
Seit ihrem Anruf hatte ich darüber gegrübelt, wie sie auf mich gekommen war. Psychiater sind darauf getrimmt, nicht an Zufälle zu glauben. Wir haken nach, wenn ein Patient behauptet, er hätte einen Zug verpasst, den er unbedingt kriegen wollte, oder wäre ganz zufällig einem Freund auf der Straße begegnet. Tief innen drin, so glauben wir, ist es absichtlich geschehen. Die Vorstellung, es könnte purer Zufall sein, dass Harrys Geliebte mich ausgewählt hatte, war einfach lächerlich. An dem Abend, nachdem ich von Laurens Existenz erfahren hatte, war ich überfallen worden, und der Mann, den sie in seinem Haus besucht hatte, war im Gefängnis, weil er jemanden erschossen hatte. Das war kein Zufall.
»Wo soll ich mich hinsetzen?« Lauren sah sich im Zimmer um. »Ich habe so etwas noch nie gemacht, ob Sie’s glauben oder nicht. Ich bin die einzige von meinen Freundinnen, die noch nie psychologischen Rat gesucht hat. Stress mit Männern, Geld, das Übliche.«
Ihre Stimme war tief und melodisch, ihr unbekümmerter Tonfall legte nahe, dass unser Treffen etwas ganz Normales war.
Ich zeigte auf den Patientenstuhl. »Schauen wir mal, ob ich Ihnen helfen kann.«
»Ganz bestimmt«, sagte sie, als wäre es vergeudete Liebesmüh, es ihr ausreden zu wollen. Sie schlug ihre langen
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