Die Dichterin von Aquitanien
ihren Fingern, das Gebände aus feiner Seide saß so tadellos, als gehöre es zu ihrem Körper. Selbst nach mühseligen Stunden vor dem Spiegel wäre es einer Gwenllian ferch Madog wohl nie gelungen, eine derartige königliche Erscheinung zu werden.
»Es freut mich, dich wieder an meinem Hof begrüßen zu können, Marie«, meinte die Königin mit einem Lächeln. »Nun erhebe dich und iss mit uns. Danach kannst du uns deine Geschichte vorlesen, die du mir hast schicken lassen.«
Das Gemach begann sich um Maries Kopf zu drehen, als sie sah, wie Aliénor ihr zwei Blatt Pergament überreichte, auf dem sie ihre eigenen Schriftzüge erkannte.
»Ich habe großen Gefallen gefunden an der Liebe zwischen deiner Dame und ihrem Ritter, der als Vogel in ihr Gemach flatterte«, fuhr Aliénor unbeirrt fort. »Ein Talent wie das deine darf nicht in der Wildnis von Wales verkümmern.«
Langsam stand Marie auf. Sie wusste nicht, wen sie verfluchen oder umarmen sollte, Guy oder Hawisa oder vielleicht
auch alle beide, aber nun war das Rätsel, wie ihre erste Geschichte aus der Truhe verschwunden war, gelöst.
Nachdem die Bediensteten das Geschirr abgetragen hatten, wurde sie von Aliénor nochmals aufgefordert, ihren Text vorzulesen. Einst hätte Angst vor dem Versagen ihr die Sprache verschlagen, doch nun vermochte sie tatsächlich ein Wort nach dem anderen auszusprechen und mit Leben zu füllen, während die anwesenden Damen sie aufmerksam musterten. Es musste an ihrer Zeit in Wales liegen, dass sie stärker geworden war.
Schließlich drangen begeisterte Worte des Lobes an ihr Ohr. Nur Emma schwieg, betrachtete Marie aber mit neuer Aufmerksamkeit, als staune sie, welche Fähigkeiten in unscheinbaren Frauen verborgen sein konnten.
»Ich möchte nun eine Weile allein sein«, verkündete die Königin anschließend, und ihre Damen erhoben sich gehorsam.
»Marie kann bleiben«, meinte Aliénor. Eine Weile dachte sie nach, um dann hinzuzufügen. »Außerdem Torqueri de Bouillon. Und Emma d’Anjou. Die anderen werde ich mit Freude wieder im Rittersaal treffen, wenn das Abendmahl aufgetragen wird.«
Marie spürte ein paar giftige Blicke in ihrem Rücken, als die Frauen, deren Namen nicht genannt worden waren, das Gemach der Königin verließen. Sie begriff zwar nicht, woran es lag, aber offenbar war sie zu einer Favoritin Aliénors geworden.
»Petronilla hat mich verlassen«, erzählte die Königin, sobald sie mit ihren Auserwählten allein war. »Ihren Sohn hat der Aussatz befallen, und sie will sich um ihn kümmern. Leider sieht sie darin eine Strafe für ihre vergangenen Sünden. Seit ihrem Fortgehen fehlt mir eine Vertraute, mit der ich plaudern kann.«
Sie lehnte sich auf dem breiten Faltstuhl aus weichen Leder zurück und griff nach ihrem Stickrahmen.
»Nun, Marie, wie kommt es, dass du mir dein Talent so lange verheimlicht hast? Du weißt, wie sehr ich begabte Sänger und Dichter schätze.«
Marie senkte den Blick und suchte angestrengt nach den passenden Worten.
»Lange hielt ich meine dummen Geschichten für unwürdig, um sie Eurer Hoheit vorzutragen«, drückte sie die Wahrheit in einer Weise aus, die ihr angebracht schien. »Zudem fehlte mir in meiner ersten Zeit bei Hofe das notwendige Werkzeug, um jene Worte niederzuschreiben, die ich heimlich ersann.«
Aliénor nickte mit einem leicht spöttischen Lächeln.
»Ich habe verstanden. Das wird sich nun ändern. Du kannst so viel Pergament und Tinte bekommen, wie du benötigst. Zudem gibt es einige Bücher, die du vielleicht lesen solltest. Die Geschichten über König Artus vor allem. Mein Gemahl schätzt sie sehr, denn er sieht sich gern als Nachfolger dieses großen Königs. Ich werde dir die nötigen Bücher geben lassen, aus denen du neue Anregungen ziehen kannst.«
Ein Rausch des Glücks zog durch Maries Körper, verdrängte alle Müdigkeit, unter der sie nach der langen Reise litt. Wie von selbst erfüllten sich nun ihre größten Wünsche, und all dies wegen zwei Seiten Pergament, die sie in ihrer Einsamkeit und Verzweiflung beschrieben hatte.
»Ihr seid großzügiger, als ich verdiene, Hoheit«, sagte sie und staunte nun selbst über ihre Fähigkeit, wie eine richtige Hofdame zu reden.
»Außerdem brauchst du ein eigenes Gemach, um die nötige Ruhe zum Schreiben zu haben«, fuhr Aliénor fort, während sie einen weiteren Faden durch ihre Stickerei zog.
»Hier in Angers ist es leider zu eng, aber sobald wir in England sind, in Westminster oder Woodstock,
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