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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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sollst du jene Räume bekommen, den ich einst Petronilla überließ. Gibt es vielleicht eine weitere Dame, mit der du sie teilen möchtest?«
    Marie hob den Kopf.
    »Torqueri de Bouillon«, sagte sie ohne jedes Zögern. Dann hörte sie, wie ihre junge Tante ein leises Murren ausstieß.
    »Und Emma d’Anjou«, fügte Marie hinzu. Es wäre unklug, ihre neue Zeit bei Hofe gleich damit zu beginnen, dass sie sich Feinde machte.
    Aliénor legte den Strickrahmen auf den Tisch.
    »Schön, dann hätten wir jetzt alles geklärt. Sag mir, Marie, woher kennst du solche Geschichten?«
    Nun flossen die Worte wie von selbst aus Maries Mund: »Es sind alte bretonische Erzählungen, Hoheit. Lais werden sie genannt. Man trägt sie oft singend vor, und vielleicht habt Ihr einige dieser Lieder schon gehört. Ich kenne sie von meinem Ziehvater, habe sie aber ausführlicher gestaltet und ein wenig verändert, um sie gefälliger zu machen. Es soll vor allem um die Möglichkeit wahrer Liebe zwischen Mann und Frau gehen.«
    Aliénor blickte versonnen auf die prächtigen Wandbehängen.
    »Mein Großvater, der Herzog von Aquitanien, sang gern Liebeslieder. Mitunter waren sie etwas derb, aber schließlich besann er sich auf die Poesie echter Leidenschaft und Verehrung gegenüber der Geliebten.«
    Sie musterte ihre anwesenden Damen nachdenklich.
    »Wir leben in einer rauen Welt, die Männer mit dem Schwert in ihrer Hand beherrschen. Sie brauchen Ideale, um uns Frauen mit Achtung zu behandeln. Die Liebesdichtung könnte sie angemessenes Verhalten lehren, doch muss
sie von solcher Schönheit sein, dass sie durch alle Kettenhemden bis in ihre Herzen dringt.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob dies wirklich gelingen kann«, hörte Marie sich widersprechen und erschrak sogleich über ihre eigene Dreistigkeit. Aliénor richtete sich auf.
    »Wer zu lange zweifelt, hat schon verloren«, erwiderte sie. »Aber widme dich deiner Dichtkunst, und ich werde mich darum kümmern, deiner Stimme Gehör zu verschaffen.«
    Dann griff die Königin wieder nach dem Strickrahmen.
    »Ach übrigens, Marie. Was ist mit deinen Händen geschehen? Hattest du schon immer diese Narben?«, fragte sie so beiläufig wie möglich. Marie ahnte, dass dies vielleicht ein Versuch war, ihre Gefühle nicht verletzten.
    Sie schluckte. Bisher hatte sie mit niemandem über ihre Erlebnisse in Wales gesprochen und hielt es für unangebracht, der Königin derart unschöne Geschichten zu erzählen. Entschlossen holte sie Luft, um Cadells Lüge von dem Brandunfall zu wiederholen.
    Aliénor nickte nur.
    »Das ist sehr bedauerlich. Deine Hände sind leider kein sehr angenehmer Anblick mehr. Ich werde dir eine geschickte Näherin schicken, damit du Handschuhe bekommst. Warmes Tuch für den Winter und zarte Seide für warme Tage. Du wirst diese Handschuhe tragen, wenn du bei Hof deine Lais vorträgst.«
    Marie verspürte einen Stich, denn sie fühlte sich wie ein beschädigter Gegenstand behandelt, dessen Mängel verborgen werden mussten. Aber sie bedankte sich gehorsam. Es war Aliénor gewesen, die sie von Cadell befreit und vor der möglichen Rache seines Bruders bewahrt hatte. Das durfte sie niemals vergessen.
    »Ihr könnt Euch nun bis zum Abendmahl zurückziehen«, meinte Aliénor nun an ihre noch verbleibenden Damen gewandt.
»Mein Schreiber wird gleich hier sein, denn ich muss noch ein paar Briefe diktieren.«
     
    Schon am nächsten Tag erhielt Marie die Gelegenheit, sich in eine winzige Kammer zurückzuziehen, in der einige Bücher auf sie warteten: die Geschichte der englischen Könige von Geoffroy von Monmouth auf Latein und Waces französische Fassung Roman de Brut. Sie strich ehrfürchtig über die ledernen Einbände und versank für eine Weile in der Schönheit sorgsam geschwungener Schriftzüge, die mit farbenprächtigen Bildern verziert waren. Außerdem stieß sie auf vergilbte Rollen Pergament. Ähnlich wie jene Texte, die Guillaume gesammelt hatte, enthielten sie märchenhafte Liebesgeschichten, die den ihren glichen, doch sehr kurz gefasst waren. Sie las, wie Tristan und Isolde einander fanden und wieder verloren. Außerdem das tragische Schicksal zweier Liebender, die gemeinsam auf einem Berg in der Nähe von Pitres starben, weil der Vater des Mädchens seine Tochter keinem anderen Mann überlassen wollte. Marie begann sogleich nach einer mitreißenden Vorgeschichte für diesen Liebestod zu suchen, da ging die Tür auf und Hawisas Gesicht schob sich in den Rahmen.
    »Wie geht es

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