Die Dichterin von Aquitanien
widersetzen. Auch die Ritter schwangen sich wieder in den Sattel.
Marie hatte noch keinen klaren Gedanken fassen können, da saß sie bereits wieder in einem holpernden Wagen und rollte durch die vereiste Landschaft des englischen Winters.
Es war bereits finstere Nacht, als sie endlich Beaumont erreichten. Auch dort hatte niemand mit Aliénors Ankunft gerechnet, doch statt verlegener Erklärungen kam es zu einem sofortigen Aufruhr. Dienstboten mit erschöpften Gesichtern und schlaftrunkenen Augen bewegten sich wie Ameisen durch die Räume. Bald schon war der Tisch in einem großen Raum hergerichtet worden, wo Aliénor mit ihren Damen und Rittern das Abendmahl zu sich nahm. Marie war so erschöpft, dass es ihr schwerfiel, die Augen
offen zu halten. Im Grunde war sie froh über die bleierne Schwere ihrer Knochen, denn das unerwartete Wiedersehen mit Rosamond hatte Erinnerungen an ihre Zeit in Wales geweckt, was ihr manchmal immer noch den Schlaf raubte.
Marie warf ein paar besorgte Blicke in Aliénors Richtung, aber die Königin wahrte eine völlig gefasste Miene. Torqueri aß schweigend. Sie wünschte kein Getuschel über den Vorfall, das hatte sie bereits im Wagen laut erklärt. Emma nippte genüsslich an ihrem Weinbecher.
»Das ist nicht seine erste Buhle«, flüsterte sie Marie ins Ohr, als Torqueri sich mit ihrem Tischnachbarn unterhielt. »Aber sie ist ungewöhnlich hübsch, das muss man ihr lassen.«
Kurz darauf erhob sich Aliénor.
»Es ist spät, und wir sind alle müde. Die Bediensteten werden Euch in Eure Gemächer führen.«
Marie sah sich nach Hawisa um, die nicht gewagt hatte, sich mit den Damen an einen Tisch zu setzen.
»Marie d’Anjou wird heute Nacht mein Gemach teilen«, fuhr die Königin in diesem Moment fort. Marie hörte Emma nach Luft schnappen. Sie erhob sich verwirrt, aber dennoch erfreut, nun wirklich die auserkorene Vertraute zu sein. Nur hatte sie sich damals, als sie von der Freundschaft der schönen Dame träumte, die Umstände anders vorgestellt.
Der Raum war erstaunlich klein und karg eingerichtet, denn offenbar hielt der Hof sich nicht oft in Beaumont auf. Außer einem Bett, an dem nicht einmal Vorhänge hingen, standen nur ein Tisch und eine Bank herum, auf der Aliénor sich niederließ. Marie blieb ratlos stehen. Eine Dienstmagd trug einen Krug Wasser herein. Aliénors persönliche Zofe schien im allgemeinen Getümmel nach der Ankunft verschollen zu sein, wusste vielleicht nicht, wohin sie sich begeben sollte.
Das Mädchen trat zögernd einen Schritt auf die Königin zu, als erwarte sie weitere Anweisungen.
»Lass uns allein«, zischte Aliénor. Die Magd lief purpurrot an und huschte hinaus. Vorsichtig hob Marie nun selbst die Hand, denn eine Königin verlangte sicher irgendeine Art von Hilfe, bevor sie sich schlafen legte. Doch Aliénor riss sich mit einem Ruck Schleier und Gebände vom Kopf. Der goldene Haarreif schlug auf dem Boden auf. Dann zog sie langsam Kämme und Spangen aus der kunstvollen Flechtfrisur, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, bis es in welligen Strähnen über ihre Schultern fiel. Nachdenklich wickelte sie eine Locke um die Finger ihrer rechten Hand, um sie vor ihre Augen zu halten. Marie sah, dass immer mehr Grau das leuchtende Goldbraun auf dem königlichen Haupt verdrängte.
»Was meinst du, Marie? Wie lange wird es wohl dauern, bis ich neben Henri aussehe wie ein altes Weib?«, fragte Aliénor, anscheinend ohne mit einer Antwort zu rechnen, denn sie fuhr sogleich fort. »Er ist elf Jahre jünger als ich. Damals, als wir uns in Paris begegneten, war das völlig unwichtig. Ich galt mit dreißig noch als die strahlendste Schönheit der Christenheit, und er war ein polternder, neunzehnjähriger Junge mit großen Plänen und schlechtem Benehmen.«
Sie lächelte spöttisch, und ihre Miene entspannte sich ein wenig.
»Ich war damals noch mit Louis verheiratet, aber der freche Grafensohn d’Anjou ließ mir einen dümmlichen Liebesbrief zukommen, den er sicher nicht selbst verfasst hatte. Als wir uns dann heimlich trafen, redete er in seiner eigenen Sprache, erzählte von seinem Entschluss, den englischen Thron für sich zu gewinnen, später noch Schottland, Wales und irgendwann auch Irland zu unterwerfen. Da begann er mir zu gefallen. Er war kein verhinderter Mönch wie mein armer Louis, der sich ständig bemühte, als Herrscher
aufzutreten, aber nicht so recht wusste, wie er es anstellen sollte. Ich wusste, Henri würde sich durchsetzen
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