Die Dichterin von Aquitanien
spielt. Mehr nicht. Meine eigenen Texte sind Mittelmaß. Aber sosehr ich die Kunst auch liebe, ich sehe, dass selbst ein begnadeter Mann wie Bernard oft von der Hand in den Mund leben muss. Wie soll sich da ein durchschnittlicher Sänger und Harfenspieler durchschlagen, dem Gott in seiner Gnade ein gefälliges Gesicht schenkte?«
Marie blieb kurz stehen. Der Pfad war steil, und die Strahlen der Sonne brannten auf ihrem Gesicht.
»Was also wollt Ihr werden?«, fragte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war.
»Das, was ich bereits bin. Ein Ritter. Aber ich brauche einen neuen Dienstherrn. Ich hoffe, dass die Königin oder ihr Sohn mich in ihre Truppen aufnehmen. Deshalb folgte ich Bernard nach Poitiers.«
Marie kämpfte gegen ein unsinniges Gefühl der Enttäuschung an. Sie mochte keine kriegerischen Männer, deren Körperkraft und Zerstörungswut der Rest der Welt hilflos ausgeliefert war.
»Gefällt es Euch denn, von Eurem Schwert zu leben?«
Zu ihrem Erstaunen schüttelte Jean den Kopf.
»Es gefällt mir nicht sonderlich, aber es heißt, ich sei ein
guter Schwertkämpfer. Dadurch kann ich eines Tages vielleicht mein eigenes Land bekommen, wenn mein Dienstherr mit mir zufrieden ist. Als mittelmäßiger Jongleur hätte ich diese Möglichkeit nicht. Doch lasst uns von etwas anderem reden. Habe ich Euch schon gesagt, welchen Gefallen ich an Euren Lais fand?«
Marie lächelte geschmeichelt und schalt sich sogleich für ihre Eitelkeit. Nun hatten sie den Gipfel des Hügels erreicht. Die Kapelle ragte wie seine Spitze zum Himmel empor. Jean führte sie zu einer hölzernen Bank, die vor der kleinen Eingangstür stand. Marie war heiß geworden, und sie hätte gern den Bliaut abgelegt, doch konnte sie sich Jean nicht in einer Chemise zeigen.
»Wo habt Ihr meine Lais denn gelesen?«, fragte sie, als sie erleichtert auf die Bank sank. Der Aufstieg war anstrengend gewesen, aber das Ziehen in ihren Muskeln tat wohl.
»In Limoges. Bernard de Ventadorn ließ sich eine Abschrift bringen, als Euer Ruf zu ihm drang. Er ist sehr beeindruckt von Eurem Können und lässt seine Schüler manchmal Eure Lais singen, auch wenn er findet, dass die Damen, die Ihr beschreibt, sich ihren Rittern gegenüber nicht streng genug verhalten.«
Marie runzelte die Stirn.
»Was meint er damit?«
Jean lächelte.
»Nun, eine Dame soll ihren Ritter erziehen, ihn zu einem edleren Wesen machen, indem sie ihn Prüfungen bestehen lässt, bevor er ihre Gunst gewinnt. So ist es in den Liedern der meisten Troubadoure«, erklärte er. »Doch Eure Damen scheinen sehnsüchtig auf einen Ritter zu warten, der sie von ihrem Gemahl befreien könnte. Wenn er zu lange zögert, schicken sie ihm sogar selbst Geschenke zur Ermutigung. Ich muss zugeben, Ma Dame, nachdem ich Eure Geschichten
las, verging mir die Lust, mich jemals zu vermählen.«
Jean beendete seine Rede mit einem kurzen Lachen, als wolle er deutlich machen, dass dies kein ernsthafter Vorwurf sein sollte. Er besaß wohl die Gabe, das Leben leichtzunehmen. Marie beneidete solche Menschen. Aber nur ein Mann konnte sich so leichtfertig über ihre Beschreibung unglücklicher, erzwungener Ehen äußern. Aufgebracht bohrte sie ihre Fersen in den weichen Erdboden.
»Euer Bernard, er hat keine Ehefrau, soviel ich weiß. Und ein Mann vermag niemals zu begreifen, was es für eine Frau bedeuten kann, verheiratet zu sein«, sagte sie trotzig.
Jean zuckte mit den Schultern.
»All dies mag ja sein. Doch sollte ich mich eines Tages vermählen, dann würde ich mir wünschen, dass meine Frau keinen abstoßenden Tyrannen in mir sieht, dessen Tod sie heimlich herbeisehnt.«
»Das hinge ganz davon ab, wie Ihr Eure Ehefrau behandelt«, konterte Marie. Wieder streifte sie der blaue Blick. Spöttisch, aber auch mit einem Hauch von Zärtlichkeit. Ihr wurde warm, was nicht allein an der Sonne lag.
»Ihr gebt uns Männern aber keinerlei Hoffnung, dass wir für unsere Gemahlinnen liebenswert sein könnten. Jede Frau, die ihr beschreibt, verabscheut ihren Ehemann.«
Marie schüttelte verwirrt den Kopf. So hatte sie es noch niemals gesehen.
»Die Geschichte über den Werwolf«, begann sie sich zu verteidigen. »Er ist nicht böse, doch seine Frau fügt ihm Schaden zu, weil sie ihn abstoßend findet, sobald er ihr sein Geheimnis verraten hat.« Sie war stolz gewesen, ein so ungewöhnliches Ende für dieses Lai gefunden zu haben.
»Was nur bedeutet, dass er keine wirklich tiefe Liebe in ihr wecken konnte«, erwiderte
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