Die Dichterin von Aquitanien
abbekommen, doch außerhalb des Palastes dürfte das niemanden stören. Schnell hob Marie Schleier und Reif auf, die sie während des Kampfes verloren hatte. Sie erwog, die Kopfbedeckung wieder aufzusetzen, doch es tat erstaunlich wohl, den frischen, warmen Wind in den Haaren zu spüren.
»Gut, dann lasst uns gehen«, meinte sie mit einem kurzen Nicken zu Jean.
Sie musste zur Mittagszeit wieder im Palast sein, damit nicht nach ihr gesucht wurde. Aber die Sonne stand noch nicht sehr hoch am Himmel. Jene Stelle an ihrem Bauch, wo sie einen Tritt abbekommen hatte, schmerzte bei jedem Schritt. Sie sah, dass auch Jean nicht völlig unbeschadet davongekommen war, da er beim Gehen ein Bein leicht nachzog.
»Vielleicht kann ich Euch davon überzeugen, dass Hunde nicht immer knurren und beißen, wenn Ihr nett zu ihnen seid«, meinte er mit verhaltenem Spott. Maries Wangen begannen zu glühen. Jean hatte ihretwegen Prügel eingesteckt, doch sie hatte ihn nur mit einem Hund verglichen. Worte des Danks wären wohl angebracht, aber sie wollten nicht über ihre Lippen kommen. Die Welt als Ganzes missfiel ihr. Sie sehnte sich immer noch danach, allein sein zu können. Eine Weile gingen sie wortlos nebeneinander her.
»Worüber wolltet Ihr denn mit mir reden, als ihr mir gefolgt seid?«, fragte Marie schließlich.
Jeans Gesicht wandte sich ihr zu. Mit einem Mal hatte sein Blick wieder die übliche Wirkung. Marie spürte, wie ein Kribbeln durch ihren ganzen Körper lief.
»Ich wollte mich bei Euch bedanken, weil ihr meinem Neffen zu seiner Belohnung verholfen habt«, beantwortete Jean ihre Frage.
»Ach was, das war doch nur ein Goldring.« Marie erinnerte sich die zahllosen Geschenke, die der Ritter William erhalten hatte.
»Für manche Menschen ist ein Goldring ein Vermögen«, erwiderte Jean.
Marie blieb kurz stehen. »Ich bin selbst keineswegs wohlhabend, falls Ihr das meint«, erklärte sie mit Nachdruck. »Nur die Gunst der Königin ermöglicht mir ein angenehmes Leben. Aber als Sohn eines Ritters wird Euer Neffe doch Land erben. Ihr selbst vermutlich ebenso.«
Jean lachte auf und trat nach einem Stein. Dann wandte er sich an Marie.
»Robert ist der zweite Sohn des dritten Sohnes meines Onkels Thibault. Hier in Aquitanien teilen sich Brüder manchmal ihr Erbe, aber auf der Burg wird es allmählich eng. Mein Vater lebt als Weinbauer vor den Toren von Bordeaux. Ich hätte nichts dagegen, seine Weinberge zu übernehmen, aber auch vor mir sind drei andere Brüder an der Reihe. Robert und ich, wir müssen sehen, wie wir im Leben vorankommen. Offen gesagt, unser größtes Glück wäre eben die Gunst eines Herrschers, wie Ihr sie im Palast von Poitiers genießt. Vielleicht mögt Ihr Euer Los als Frau in dieser Welt beklagen, doch scheint es mir, dass Ihr seit unserer ersten Begegnung in Windsor weitaus besser im Leben vorangekommen seid als ich.«
Marie ließ seine Worte langsam auf sich wirken. Auch er wusste wenig von ihr, sie waren Fremde. Doch wenigstens war eine Unterhaltung in Gang gekommen.
»Nichts von dem, was ich erreicht habe, ist mir einfach zugefallen«, widersprach sie. Dann fiel ihr ein, dass es ratsam war, das Thema zu wechseln, denn sie wollte nicht über ihre Vergangenheit reden. »Erzählt mir, wie es Euch in der Zwischenzeit erging. Und weshalb Euer Onkel ein Ritter ist, Euer Vater aber Weinbauer.« Sie hatten inzwischen den Fuß des Hügels erreicht. Ein schmaler Pfad schlängelte sich zur Kapelle.
»Ich wurde mit einem Halbbruder der Königin wieder in meine aquitanische Heimat geschickt. Dann trat ich in den Dienst des Grafen von Angoulême, der mich zum Ritter schlug. Da er gegen den König rebellierte, traf ihn der Zorn des großen Henri, sodass er sein Gefolge verkleinern musste. Ich hörte, dass Bernard de Ventadorn sich in Limoges aufhielt und beschloss, mein einstiges Vorbild aufzusuchen«,
erzählte Jean. »Doch meinen Traum, als Troubadour zu leben, habe ich inzwischen begraben. Mir fehlt dazu die göttliche Gabe, jener kleine Funken, der einen Künstler außergewöhnlich macht.«
Marie vermeinte, Trauer in seiner Stimme zu hören.
»Ihr spielt gut auf der Harfe«, widersprach sie aufmunternd. »Und damals in Windsor schien mir Eure Stimme sehr klangvoll.«
Nun grinste Jean spöttisch.
»Ja, und außerdem habe ich ein Gesicht, das den Damen gefällt. All dies hat Bernard mir in aller Ehrlichkeit erklärt. Ich könnte ein Jongleur werden, der die Lieder anderer Troubadoure singt und
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