Die Dichterin von Aquitanien
erklärte sie hastig. Er drückte zum Abschied noch einmal ihre Hand, dann verschwanden sie getrennt
in der Menschenmenge. Marie hastete durch die bereits geschäftige Stadt, betrat den Palast und erreichte schließlich ihre Gemächer, wo Hawisa ungeduldig wartete.
»Wo bist du gewesen? Man hat schon nach dir gefragt.«
»Ich habe einen kleinen Ausflug gemacht. Das tust du doch auch gern«, entgegnete Marie spöttisch. Hawisa verzog das Gesicht.
»Ich bin keine Hofdame. Du kannst nicht so einfach verschwinden, ohne dass es auffällt. Was ist denn mit deinem Bliaut geschehen? Er hat einen Riss.«
Marie erzählte, dass sie an einem Baum hängen geblieben war. Hawisa schüttelte ungläubig den Kopf.
»Vergiss nicht, dass du überall beobachtet wirst. Egal, was du anstellst, du musst auf deinen Ruf achten. Es gibt genug Leute, die dich um die Gunst der Königin beneiden und dich mit Freude bei ihr anschwärzen würden.«
Marie widersprach nicht, sondern ließ sich umkleiden und frisieren. Die enge Welt des Hofes hatte sie wieder umfangen. Zwar gab es Gerüchte über Aliénors ausschweifendes Leben als Gemahlin des französischen Königs, doch seit ihrer Ehe mit Henri schien sie auf untadeliges Benehmen Wert zu legen. Marie musste sich den Erwartungen an eine höfische Dame anpassen, um nicht alles zu verlieren, was sie erreicht hatte. Männer durften Buhlen haben, Frauen hielten ihrem Gemahl die Treue oder lebten völlig keusch. Der Ausflug mit Jean verblasste allmählich zu einem schönen, unwirklichen Traum. Sie beschloss, Hawisa nichts zu erzählen. Und sie auch nicht zu dem Gemach der Sänger zu schicken, denn in ihrem Leben gab es keinen Platz für einen armen Ritter mit strahlend blauen Augen. Ihr Leben gehörte Aliénor, die aus ihr eine angesehene Dichterin gemacht hatte.
2. Kapitel
N ach dem Pfingstfest begann die Zeit der Turniere. Aliénors ältester Sohn Henry kam zu diesem Zweck nach Poitiers, zog ein Gefolge aus lärmenden, jungen Männern und bellenden Hunden hinter sich her, das den ganzen Palast auszufüllen schien. Außerhalb der Stadtmauern leuchteten bunte Zelte wie riesige Blüten, um jenen Rittern, die einfach in kein Gebäude mehr passten, Unterschlupf zu bieten. Auf den Wiesen lieferten diese Männer sich heftige Gefechte mit Lanzen und Schwertern, warfen einander aus dem Sattel und nahmen Geiseln, die gegen Lösegeld freigekauft werden mussten. Des Nachts quollen die Weinschänken und Bordelle der Stadt über. Das Geschrei betrunkener Männer drang bis in die Palastgemächer, wo Marie sich auf ihrem Laken wälzte. Sie sehnte sich nach der heiteren, ruhigen Gelassenheit, mit der diese Stadt sie einst empfangen hatte. Doch Aliénor störte sich nicht an dem wüsten Toben, sondern ließ die kämpferischen Männer großzügig in ihrer Empfangshalle bewirten.
Isabelle de Vermandois und Emma fanden sichtlichen Gefallen an der Veränderung. Sorgfältig herausgeputzt ritten sie regelmäßig auf ihren Zeltern los, um die Turniere aus sicherer Entfernung zu beobachten. Manchmal schloss Marie sich ihnen an. Die bunten Farben der Lanzen und Banner gefielen ihr, auch wenn sie sich nicht für das Hauen und Stechen begeistern konnte. Auf den Schildern und Satteln
der Ritter waren mitunter farbenfrohe Darstellungen von Kämpfen zu sehen, deren Kunstfertigkeit Marie bewunderte. Um die Wiesen hatten Gastwirte Stände aufgebaut, an denen die Zuschauer mit Speisen und Getränken versorgt wurden. Gaukler und Sänger traten auf, um die Ruhmestaten einzelner Kämpfer zu preisen und dabei ein paar Münzen zu verdienen.
Sie sah Jean bei den Turnieren. Er hatte es offenbar geschafft, ebenso wie sein Neffe Robert in Richards Gefolge aufgenommen zu werden, und schlug sich für seinen Dienstherrn. Emma und Isabelle tuschelten stets aufgeregt, bevor die Ritter Helme über die Coiffes auf ihren Köpfen zogen, um sich in gesichtslose Krieger zu verwandeln. Zahlreiche Namen drangen an Maries Ohr, Tapferkeit und äußere Reize unbekannter Männer wurden aufgeregt besprochen. Sie mischte sich nicht in diese Gespräche, was keine ihrer zwei Gefährtinnen zu überraschen schien. Ihre Augen folgten nur dem Galopp von Jeans Schlachtross, das er mit den Knien lenken musste, da er beide Hände benötigte, um die Waffen zu halten. Ihre Eingeweide verkrampften sich bei der Vorstellung, dass er jeden Moment aus dem Sattel gerissen werden konnte. Tragen, auf denen Verletzte oder gar Tote fortbefördert wurden, lagen immer neben
Weitere Kostenlose Bücher