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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Jean. »Ansonsten hätte sie
zu ihm gestanden, Werwolf oder nicht. Oder seht Ihr das anders?«
    Nun fiel Marie zunächst keine Antwort ein, obwohl sie überzeugt war, dass Jean unrecht hatte.
    »Weshalb sollte ein Mann sich um die Liebe seiner Ehefrau bemühen?«, meinte sie nach einigem Grübeln. »Sie ist vor Gott und der Welt sein Eigentum.«
    Jean schüttelte mit einem breiten Grinsen den Kopf.
    »Wie einfach Ihr das alles seht, Ma Dame. Würdet Ihr Euch denn wünschen, an der Seite eines Menschen zu leben, der Euch aus tiefstem Herzen verabscheut?«
    Marie stellte verwirrt fest, dass Jean ihre Sicht der Dinge etwas durcheinanderbrachte. Wieder musste sie kurz nachdenken, bis endlich Ordnung in ihrem Kopf herrschte.
    »Ich täte es nicht«, erwiderte sie. »Ich will auch nicht, dass meine Bediensteten mich hassen, und bemühe mich daher, sie gerecht zu behandeln. Aber ich bin von Menschen umgeben, denen die Gefühle jener, die von ihnen abhängig sind, völlig unwichtig erscheinen.«
    Jean zog die Augenbrauen hoch.
    »Ich fürchte, da muss ich Euch recht geben«, gab er sich geschlagen, und Marie glaubte, einen Hauch von Anerkennung in seiner Stimme zu hören. Eine Weile blieb es still. Sie betrachtete die Weinberge, Wiesen und Baumkronen, die sich wie ein kunstvoll verzierter Teppich vor ihr ausbreiteten. In der Ferne entdeckte sie die Mauern Poitiers, aus denen ein paar Türme herausragten. Aliénors Palast und das Leben am Hof schienen plötzlich weit weg.
    »Ihr wolltet wissen, weshalb ich der Sohn eines Weinbauern bin«, begann Jean. »Erlaubt mir, Euch die Geschichte meines Vaters zu erzählen. Er war ein armer Schlucker, der vierte Sohn des Ritters de Veizis. In der Hoffnung, einen Dienstherrn zu finden, schlug er sich bei Turnieren. Doch
stattdessen fand er bei einem Dorffest die Tochter eines reichen Weinbauern. Sie war so gnädig, ihm ihr Herz zu schenken. Und weil meine Mutter das einzige Kind dieses Weinbauern war, eigensinnig und verwöhnt, konnte sie ihren Willen durchsetzen. Die Familie de Veizis war von der Vermählung nicht begeistert, doch meinen Vater erfreute es, sich nicht mehr mit Schwert und Lanze im Sattel halten zu müssen, sondern die Ernte zu beaufsichtigen und schließlich seinen eigenen Wein zu kosten. All dies in einem Haus, das viel wohnlicher war als die zugige Burg der de Veizis.«
    Marie musste lächeln. Die Geschichte gefiel ihr.
    »Meine Eltern liebten einander, Ma Dame«, fuhr Jean fort. »Auch wenn sie vor Gott und der Welt vermählt waren. Ich merkte es an den Blicken, die sie einander zuwarfen. Ihrem gemeinsamen Lachen. Und den heftigen Streitereien, auf die eine ebenso heftige Versöhnung folgte. Aber damals wusste ich noch nicht, welches Glück sie beide hatten. Mein Onkel Thibault erschien eines Tages, als ich ungefähr zehn war. Er fand, ich sei der einzige Sohn seines bäuerlichen Bruders, der zum Ritter taugte. So kam ich auf seine Burg und schließlich an den königlichen Hof.«
    »Wie gefiel Euch das?«, fragte Marie und dachte an ihre Reise nach Chinon, da sie zwischen Aufregung und Angst geschwankt hatte.
    »Oh, zunächst gefiel es mir sehr. Eine Welt voll edler, schön gekleideter Menschen«, gestand Jean. »Aber mit der Zeit begriff ich, dass all die zauberhaften Pfauen scharfe Krallen haben, die sie in jeden bohren, der sich nicht wehren kann. Offen gesagt will ich jetzt nur noch mein eigenes Land, um nicht mehr von der Gunst anderer abhängig zu sein. Und eine Frau, die sich freut, wenn ich bei ihr bin. Der ich gelegentlich auf der Harfe ein Liebeslied vorspielen kann, ohne dass sie sich dabei entsetzt die Ohren zuhält.«

    Marie verspürte plötzlich den Wunsch, ihren Kopf an Jeans Schulter zu lehnen, und fragte sich, ob er dann seinen Arm um sie legen würde. Aber ein solches Verhalten war völlig unangebracht.
    »Ich verstehe, wie Ihr Euch als Kind gefühlt haben müsst, als man Euch in eine fürstliche Burg brachte. Ich bin selbst in einem kleinen Dorf unter Bauern aufgewachsen«, begann sie stattdessen zu erzählen. Sie beschrieb Guillaume, Abélard und Cleopatra, ihre lange Freundschaft mit Pierre, auch wenn sie deren Ende nicht erwähnte. Schließlich schilderte sie ihre Reise nach Chinon und die erste Zeit am königlichen Hof. Es tat gut, von all dem reden zu können. Nur ihre Ehe mit Cadell verschwieg sie, denn diese Erinnerungen wollte sie nicht zu neuem Leben erwecken. Jean lauschte aufmerksam, unterbrach nicht und gab ihr das unerwartete Gefühl,

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