Die Dichterin von Aquitanien
ein Paradies für Männer sei, denn sie könnten wie in einem Bordell selbst in Palastgängen der Unzucht nachgehen, ohne für diese Dienste auch nur bezahlen zu müssen.«
Nun zuckte Emma zusammen. Sie blinzelte, und ihre Augen wurden feucht. Marie drückte ihre Hand nun doch, auch wenn Aliénor das sicher mitbekam.
Eine Weile blieb es so still, dass Marie die Atemzüge der
Anwesenden zu hören meinte. Dann redete die Königin mit völliger Ruhe weiter.
»Auch ich war einmal jung und weiß, wie heiß die Leidenschaft brennt. Doch nun befinde ich mich in wichtigen Verhandlungen mit anderen Fürsten. Es würde mir schaden, wenn meinem Hof ein derart billiger Ruf anhaftet. Ich habe die zukünftigen Gemahlinnen meiner Söhne in meiner Obhut sowie die Töchter anderer Edelmänner, deren Unterstützung ich vielleicht eines Tages sehr nötig haben werde. Wenn es um Fragen der Keuschheit und Sittsamkeit geht, urteilt die Welt härter über uns Frauen als über Männer, wie ich selbst schmerzhaft erfahren musste.«
Wieder machte sie eine Pause, legte die Hände auf den Tisch und wartete die Wirkung ihrer Worte ab.
»Frauen, vor allem Damen edler Abkunft, müssen Männer erziehen und ihnen Grenzen aufweisen, anstatt sich zur Unzucht hinreißen zu lassen. Nur so können Männer lernen, unserem Geschlecht Achtung entgegenzubringen«, mischte sich die Gräfin de Champagne ins Gespräch. Marie hörte Emma leise schnauben und fragte sich, ob Aliénors älteste Tochter jemals ein derart brennendes Verlangen empfunden hatte wie sie selbst damals mit Jean im Palastgarten. Aliénor setzte sogleich wieder zum Reden an, fast als wolle sie der Gräfin die Gelegenheit zu weiteren Ermahnungen nehmen.
»Ich verlange nicht von euch, wie Nonnen zu leben. Wenn ihr euer Vergnügen sucht, so tut es mit Umsicht und achtet darauf, dabei unbeobachtet zu bleiben. Und dir, Emma, rate ich zu einer klügeren Wahl deiner Liebhaber.«
Wieder fuhr Emma zusammen, als sei sie geohrfeigt worden.
»Wie mein Kapellan André meint«, nutzte die Gräfin das Schweigen, um mit mahnender Stimme fortzufahren, »gibt
es eine züchtige Art der Liebe zwischen Mann und Frau, bei der auf den sündhaften Akt verzichtet wird.«
Nun fuhr Emma wütend auf.
»Und diese Art der Liebe vollzieht Ihr wohl mit dem jungen Kleriker, der Euch vor aller Augen anbetet«, zischte sie bissig.
Die Gräfin erwachte plötzlich aus ihrer Erhabenheit. Ihre schneeweißen Wangen färbten sich rosa, und sie holte Luft, um zu einer empörten Erwiderung anzusetzen, doch Aliénor hob besänftigend die Hand. Sie schien nicht einmal zornig über Emmas freche Anspielung. Menschen, die sich zu wehren verstanden, hatten ihr immer gefallen.
»Lasst uns nicht zanken wie aufgebrachte Hühner«, meinte sie entschieden. »Ich habe gesagt, was es zu sagen gab. Seid vorsichtig und lasst euch nicht zu Taten hinreißen, die ihr später bereut. Bisher ist nichts Schlimmes geschehen.«
Mit einem Wink ihrer Hand entließ sie ihre beiden Damen. Emma stürmte hinaus. Marie erhob sich, um ihr zu folgen, doch spürte sie plötzlich Aliénors Finger auf ihrem Arm.
»Ich weiß, dass du ein vernünftiges Mädchen bist, Marie«, sagte die Königin sanft. »Auch über dich gab es Gerüchte, doch ich nehme sie nicht ernst, weil ich dich kenne. Aber vergiss bitte nicht, dass du als Dichterin der fin amor bekannt bist, in der Frauen Achtung entgegengebracht wird, ganz gleich, wie sehr die Kleriker unser Geschlecht auch verdammen mögen. Allein aus diesem Grund könnten Männer eine reizvolle Eroberung in dir sehen, um dadurch deinen Namen in den Schmutz zu ziehen. Leider verhalten sie sich im wirklichen Leben selten so edelmütig wie in den Liedern der Troubadoure und deinen Lais.«
Marie nickte stumm. Sie zitterte innerlich und wünschte sich auf einmal, dass Jean niemals in Poitiers erschienen wäre, um ihr Leben durcheinanderzuwirbeln.
»Ich fasse es nicht!«, zischte Emma und versetzte dem Tisch einen Tritt. Marie war in das Gemach ihrer jungen Tante getreten, denn ihr schien, dass ein paar beruhigende Worte nötig waren. Aber Emma raste wie eine in die Enge getriebene Ratte.
»Weißt du, was während des Kreuzzugs geschah? Louis ließ Aliénor, damals noch seine Frau, mit Gewalt aus Antioch schleppen, da die ganze Stadt davon redete, dass sie eine Liebschaft mit ihrem eigenen Onkel Raimond begonnen hatte! Und jetzt hält sie uns Predigten über züchtiges Verhalten!«
Der Tisch wurde nochmals
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