Die Dichterin von Aquitanien
Marie de Champagne hingegen hatte das Eintreffen ihres Gatten unbeeindruckt gelassen, so wie alle Ereignisse an ihrer stolzen Fassade abprallten. Sie tauschte höflich Worte mit ihm und schien nicht zu merken, dass er sie mit leuchtenden Augen betrachtete. Der Kapellan André war ungewöhnlich schweigsam geworden. Die höfische Hierarchie hatte ihn ans Ende der Tafel verdrängt, wo er missmutig seine Suppe löffelte. Marie musterte zwei große, breitschultrige Männer in edler Kleidung, die ein Stück neben ihr saßen und sich eben
darüber einig wurden, dass Henri ein machtgieriger Tyrann war, den sie in Aquitanien nicht mehr zu sehen wünschten. Es waren die Grafen von Angoulême und La Marche.
»Aber er wird sich nicht so leicht verjagen lassen, wie wir es uns wünschen«, warf der dünne, sehnige Adémar de Limoges ein, der zwischen den zwei Hünen saß. Er war deutlich kleiner, doch sprühte er geradezu vor Energie und gestikulierte unermüdlich mit seinen Händen. »In jedes Stück Land, das er für sein Eigentum hält, beißt dieser Nachkomme eines Bastards sich fest wie ein hungriger Wolf und zermalmt es zwischen seinen Zähnen.« Adémar öffnete den Mund und ahmte das Kauen eines Raubtiers nach. Er hatte erstaunlich gesunde Zähne. Marie gefiel er besser als die anderen Herren bei Tisch, denn er wirkte weniger wuchtig und schien über Sinn für Humor zu verfügen.
»Meine Herren, lasst doch für eine Weile die Politik. Die Troubadoure unserer Herzogin sind der Stolz dieses Landes. Wir sollten ihren Gesang nicht ständig unterbrechen«, mahnte eine kürzlich angereiste Dame. Ermengarde de Narbonne war rund wie der volle Mond und hatte freundliche, fast mütterliche Gesichtszüge, doch konnte sie sich Gehör verschaffen. Eine Weile wurde es still. Ein neuer Sänger war erschienen und trug ein Lied über Kampf und Heldentod vor, das begeisterten Applaus auslöste. Er verbeugte sich, um dann an der Tafel Platz zu nehmen.
»Das ist Bertrand de Born, der Herr von Hautefort. Ein weiterer Sohn dieses Landes, der sein Haupt nicht einem fremden Joch beugen will«, rief Aliénor. Die Königin thronte mit einem zufriedenen Lächeln an ihrer Tafel, während Richard in seinem scharlachroten Surcot etwas steif neben ihr saß, ohne ein Wort von sich zu geben. Eine Kette aus Rubinen schmiegte sich um seinen Hals, und das in Locken gelegte Haar glänzte im Licht der Öllampen wie poliertes
Kupfer. Aliénor hatte ihren zukünftigen Nachfolger ebenso sorgfältig herausgeputzt wie den Saal, ihre Tafel und auch sich selbst.
Ein paar junge Leute in festlicher Kleidung erschienen und führten Tänze auf, die offenbar in dieser Gegend beliebt waren, denn die Versammelten jubelten begeistert und bewegten sich im Rhythmus der Musik. Aliénor befahl Richard und seiner Braut mit einer resoluten Geste, aufzustehen und sich am Reigentanz zu beteiligen. Beide zeigten wenig Freude, öffentlich zur Schau gestellt zu werden, doch vermochten sie sich einer Weisung der Königin nicht zu widersetzen. Marie begriff, worum es hier ging. Der zukünftige Herzog sowie seine angehende Gemahlin sollten als Menschen Aquitaniens angenommen werden, die mit Sitten und Bräuchen der Gegend vertraut waren. Die Zeit der fremden Herrscher ging zu Ende.
»Unser zukünftiger Herzog dürfte bald schon die Herzen vieler Frauen zum Schlagen bringen«, meinte Adémar de Limoges mit einem breiten Grinsen, als der Tanz beendet war. »Trotz seiner Jugend ist er schon ein großartiger Schwertkämpfer, ein Ritter mit Leib und Seele«, fügte der Graf von Angoulême hinzu. »Ebenso wie der große Guillaume sollte er verstehen, dass wir Aquitanier keine Hunde sind, die Stiefel eines Herrschers lecken.«
Zustimmendes Gemurmel drang durch den Saal. Aliénor runzelte für einen kurzen Moment die Stirn, doch dann erschien ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht.
»Richard wird verstehen, dass dies ein freies Land ist, dessen Sitten er zu achten hat«, sprach sie anstelle ihres immer noch schweigsamen Sohns. Raoul de Faye nickte ihr anerkennend zu. Die Stimmung war weitaus heiterer und gelöster, als Marie es jemals an Henris Hof erlebt hatte, denn Aliénor verstand es, Leute bei Laune zu halten.
»Trotzdem wird er mein Vasall sein!«, hörte sie den jungen Henry plötzlich dazwischenrufen. »Wenn ich König bin, ist der Herzog von Aquitanien mein Vasall. So hat es mein Vater mir in Montmirail erklärt.«
An seiner Seite nagte Marguerite verlegen an ihrer
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