Die Dichterin von Aquitanien
Stimme kam ihr zuvor.
»Du kennst diese Frau nicht, Régnier, und hast kein Recht, sie hier zu verspotten! Oder kannst du dich nicht verteidigen, ohne über Dinge zu reden, von denen du keine Ahnung hast? Was verstehst du vom Schreiben? Du musst für die Dienste eines Klerikers zahlen, wenn du einen Liebesbrief brauchst, und dann bittest du noch darum, dass jemand deine Hand führt, damit du wenigstens deinen Namen selbst unter ihn setzen kannst.«
Jean war aufgesprungen. Die blauen Augen funkelten zornig, und seine Stimme hatte alles Gelächter zum Schweigen gebracht. Marie verspürte plötzlich den Wunsch, ihn vor den versammelten Rittern zu umarmen. Nur die Kühle, mit der er sie weiterhin musterte, hinderte sie daran.
Zögernd machte sie einen Schritt in seine Richtung, doch er senkte den Blick. Stattdessen waren viele andere Augenpaare neugierig auf sie gerichtet. Régnier sah wütend aus, denn einige der Anwesenden hatten wieder angefangen zu grinsen, doch diesmal war er der Grund für ihre Belustigung.
»Da will sich jemand offenbar bei den königlichen Damen beliebt machen«, unterbrach er spöttisch das allgemeine Schweigen. »An diesem Hof ist das vielleicht die beste Möglichkeit aufzusteigen, aber ich verlasse mich lieber auf mein Schwert denn auf schöne Worte.«
»Vielleicht liegt es daran, dass Ihr nicht die Kunst der schönen Worte beherrscht. Auch Eure Talente sind nur einseitig, Sire«, erwiderte Marie sogleich. Zufrieden, selbst noch einmal zugeschlagen zu haben, wandte sie sich wieder
an Jean. Sie war des Streitgesprächs mit Régnier de Rancon überdrüssig geworden.
»Ich würde gern einen Augenblick allein mit Euch reden, wenn es Euch recht ist«, sagte sie ohne weiter nachzudenken.
Jean nickte, doch seine Augen blieben kalt. Sie spürte Emmas Blick auf sich ruhen und forderte ihre Tante auf, wieder in die Gemächer der königlichen Damen zu gehen. Sie würde bald schon folgen, versprach sie. In ihrem Rücken hörte sie Gemurmel und Gelächter, als sie aus dem Zimmer trat, doch war es ihr gleichgültig geworden. Jeans Schritte hinter sich zu wissen, schenkte ihr ein erstaunliches Gefühl von Glück. Es gab keinen Raum, in dem sie ungestört sein konnten, außer vielleicht dem Zimmer mit der schmutzigen Steppdecke, das sie nicht vorzuschlagen wagte. Stattdessen entfernten sie sich beide nur weit genug von der Tür, um nicht belauscht werden zu können, und standen in einem engen, zugigen Korridor, der zu den Lagerräumen führte.
»Ich danke Euch, dass Ihr mir zu Hilfe gekommen seid«, begann Marie.
»Ich sagte einfach, was ich dachte. Régnier hatte kein Recht, Euch zu beleidigen.«
Jeans Stimme klang so kalt, dass es schmerzte. Sie erinnerte sich an das glückliche Strahlen, mit dem die blauen Augen sie einst angesehen hatten. Doch nun zeigte er keinerlei Verlangen, mit ihr zu plaudern oder sie gar zu umarmen.
»Es hat wirklich Gerüchte über Emma d’Anjou und auch über mich gegeben«, fuhr Marie zögerlich fort. »Und ich dachte, dass … Jemand muss sie doch verbreitet haben.«
Seine Miene verzerrte sich, und sie hoffte auf ein Geständnis. Vielleicht konnte sie vergeben, vielleicht würde es wieder so sein können wie früher.
»Ich bin es nicht gewesen«, sagte er nur. »Aber wenn Ihr
dachtet, dass ich mich schändlich verhielt, so hätte ich gern eine Gelegenheit bekommen, mich gegen diese Vorwürfe zu verteidigen. Doch Ihr habt mich wie Luft behandelt.«
In diesen anklagenden Worten lag endlich ein wenig Gefühl. Marie hob hilflos die Hände. Nun, da sie ihr eigenes Verhalten mit Jeans Augen sah, gefiel es ihr nicht unbedingt.
»Damals, in dem Zimmer, erkannte ich, dass auch andere Frauen dort gewesen waren. Kurz vor mir. Ihr habt mir erzählt, dass niemand außer Euch es aufsucht, und da dachte ich … Aber meine Zofe hat mir später alles erklärt.«
Sie verstummte verlegen, hoffte auf ein erleichtertes Lächeln, doch Jean blieb abweisend.
»Warum braucht Ihr eine Zofe, um zu erfahren, was auch ich Euch hätte sagen können?«
»Ihr habt gelogen!«, trumpfte Marie auf. Er verzog nur spöttisch den Mund.
»Ich hatte die anderen Ritter über diesen Raum reden hören, war aber selbst nie dort gewesen. Sollte ich einer großen Dichterin und Dame der Königin denn sagen, dass ich sie an einen Ort führte, der wie die Zimmer in einem billigen Bordell genutzt wird? Ihr wäret empört hinausgerannt.«
»Nein!«, entgegnete sie mit Nachdruck. »Ich wäre geblieben. Aber
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