Die Dichterin von Aquitanien
machen, den die Erinnerung an das schmale, von Flecken übersäte Knabengesicht im Laufe der nahezu schlaflosen Nacht in ihr geweckt hatte.
Emma hingegen schlief noch tief und fest, doch ihre Zofe öffnete bereitwillig die Tür und tauschte ein Lächeln mit Hawisa.
»Meine Dame will vermutlich nicht gestört werden«, meinte Jeanne unsicher, denn Emma verstand sich hervorragend darauf, Bediensteten Angst vor ihren Launen einzuflößen.
»Wecke sie trotzdem. Ich übernehme die Verantwortung«, stärkte ihr Marie den Rücken. Jeanne biss sich kurz auf die Unterlippe und schien abzuwägen, welches Verhalten nun am ungefährlichsten wäre. Marie ahnte, dass sie als zu gutmütig galt, um wirklich ernst genommen zu werden. Entschlossen eilte sie an der zögernden Zofe vorbei und betrat die Kammer, in der ihre Tante schlief.
Sie zog die Vorhänge zurück. Emma lag auf einem zerwühlten Bett. Unter der Nachthaube war ihr Haar noch in Kränze geflochten, und sie hatte auch die Schminke nicht abgewaschen, da sie nach dem Heimkommen wohl zu müde und angetrunken gewesen war. Marie zupfte an Emmas schmalem Handgelenk.
»Wach auf! Ich muss mit dir reden.«
Ein Murren ertönte, dann schlug Emma widerwillig die Augen auf.
»Was ist denn los? O Gott … mein Kopf …«
Sie presste ihre Hände gegen die Schläfen, als Marie ihre Geschichte zu erzählen begann. Bald schon war Emma jedoch hellwach. Sie stieß laut Flüche aus und rief nach Jeanne, um sich die Chemise und einen frischen Bliaut bringen zu lassen. Kurz konnte Marie einen Blick auf den nackten Körper ihrer Tante werfen, die sich aus den Laken wühlte. Seine feinen, geschmeidigen Formen bestätigten sie in der Annahme, selbst eine abgemagerte Krähe zu sein. Dennoch hatte Jean sie mit einer Elfe verglichen.
»Diese widerliche kleine Ratte schnappen wir uns!«, rief Emma. »Warum hast du dich nicht gleich bei der Königin beschwert, als er dich und deine Lais beleidigte? Du solltest deinen Einfluss mehr nutzen, meine kleine, kluge Nichte.«
Marie wollte nicht zugeben, dass es ihr unangenehm war, anderen Menschen zu schaden, selbst wenn sie ihr allen Grund gegeben hatten. Emma eilte indessen schon aufgebracht in ihrem Gemach herum. Jeanne streifte ihr einen goldfarbenen Bliaut über. Sie bedeckte selbst ihre Frisur mit einem undurchsichtigen Schleier, wischte vor dem Spiegel die verlaufene Schminke ab.
»So, und jetzt lass uns gehen. Wo finden wir diesen erbärmlichen Wicht?«
»Ich werde ihn suchen«, verkündete Hawisa mit einem spitzen Lächeln. »Ich bin mir sicher, dass er sogleich losläuft, wenn er erfährt, dass Emma d’Anjou bei ihm beichten will.«
Marie fand diese Aussage reichlich verwirrend, doch sie hoffte auf das Geschick ihrer Zofe.
Wenig später flog die Tür auf, und Hawisa führte den jungen Geistlichen herein.
Denis Piramus hatte sich in der Zwischenzeit nicht zu seinem Vorteil verändert. Im klaren Sommerlicht wirkte die
Farbe seines Gesichts noch fahler und ungesünder. Marie erkannte, dass Pusteln für die roten Flecken verantwortlich waren. Dennoch hielt er sich aufrechter als bei ihrem ersten Gespräch. Ein zufriedener Zug lag um seinen Mund.
»Ihr wünscht, von mir die Absolution für Eure Sünden zu erhalten?«, wandte er sich sogleich an Emma, ohne das zornige Funkeln in ihren Augen wahrzunehmen. Maries Tante schoss in die Höhe. Mit einem lauten Klatschen landete ihre Hand auf der Wange des Klerikers, hinterließ dort einen roten Abdruck, der größer war als alle Flecken.
Denis Piramus schwankte unter dem Hieb, dann sah er sich fassungslos um. Erst jetzt schien er Marie zu erblicken, und seine Lippen formten unhörbare Worte. Er machte einen Schritt zur Tür, doch Hawisa versperrte ihm den Weg.
»Die Damen wünschen mit dir zu reden«, sagte sie forsch. Die Augen des Jungen glühten wieder hasserfüllt, aber er blieb stehen. In seinem Blick, der auf Emmas Körperformen gerichtet war, meinte Marie eine widersprüchliche Mischung aus Abscheu und Begierde zu erkennen. Das also hatte Hawisa vorhin gemeint.
»Du hast Gerüchte über uns verbreitet, die unserem Ruf schadeten«, begann Marie nun schnell, denn sie sah, dass Emma zu einem weiteren Schlag ausholen wollte. »Scheint es dir denn ein rühmliches oder gar barmherziges Verhalten, uns heimlich schaden zu wollen?«
»Ich sagte nichts als die Wahrheit«, zischte Denis Piramus. »Dass Ihr verderbt seid und Männer zur Sünde verleitet.«
Nun knallte Emmas Hand erneut auf
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