Die Dichterin von Aquitanien
ich mag es nicht, wenn jemand mir Lügen erzählt.«
Nun glaubte sie endlich die Oberhand gewonnen zu haben, denn Jean schwieg eine Weile. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach Versöhnung, doch als sie zaghaft die Hand nach ihm ausstreckte, wich er zurück. Sein Atem war schneller geworden. Die blauen Augen waren nicht mehr kalt, aber zornig.
»Ihr wart erstaunlich offen und warmherzig, als wir uns trafen«, begann er schließlich. Marie glaubte, ein leichtes Zittern in seiner Stimme wahrzunehmen, was ihr Hoffnung
gab. »Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass eine der hochnäsigen Damen, die an der Seite unserer großen Königin sitzen, mir so viel von ihrem wahren Wesen zeigen würde. Aber gleichzeitig habt Ihr mich verdächtigt und verdammt, ohne darüber zu sprechen. Ich hoffe, dass ich Euch ein paar schöne Stunden geschenkt habe, denn mehr habt Ihr nicht von mir erwartet. Und nun sollten wir Abschied nehmen.«
Er machte einen Schritt, um sich zu entfernen. Marie wollte ihn festhalten, aber er wich ihr aus und eilte zur Tür.
»Warte doch, jetzt kann alles anders werden!«, hörte sie sich rufen und wusste, dass dieses Verhalten dümmlich war. Eine Dame flehte nicht. Jean drehte sich dennoch zu ihr um.
»Ich weiß, dass eine Dame ihren Ritter mit Launen zu quälen hat, denn darüber singen die Troubadoure. Doch schenkt es mir keine Freude, so behandelt zu werden. Ich habe nicht die Geduld für solche Spiele, Ma Dame«, sagte er schnell, bevor er wieder in dem Zimmer der Ritter verschwand. Als die Tür zufiel, war dies wie ein Schlag in Maries Gesicht. Sie dachte nur, dass sie keine Spiele mochte. Sie mochte nicht einmal Schach. Aber Jean gab ihr keine Gelegenheit mehr, ihm das zu erklären.
5. Kapitel
D er nächste Frühling ließ die Landschaft in neuer Farbenpracht erstrahlen, drang mit seiner betörenden Süße durch die Fensteröffnungen in den Palast, doch vermochte Marie keine Freude daran zu empfinden. Der Duft frischen Grases und erster Blüten weckte Erinnerungen an ihren Ausflug mit Jean zu dem Hügel mit der Kapelle. Sie verzichtete weitgehend auf Ausritte, die Isabelle und Emma gern unternahmen, sondern versuchte sich abzulenken, indem sie weitere Lais schrieb. Nun war sie die Lieblingsdame Marie de Champagnes. Auch wenn die endlosen Lobpreisungen des Kapellans André, die nur scheinbar ihr galten und in Wahrheit seiner Herrin gewidmet waren, ihre Geduld manchmal belasteten, zog sie es vor, beschäftigt zu sein, denn allein in ihrem Gemach zu grübeln.
Hawisa hatte ihr geraten, Jean Briefe zu schicken, in denen sie um eine Unterredung bat. Nach kurzem Zögern ließ sie sich darauf ein, doch kam ihre Zofe stets erfolglos zurück.
»Du hast es zu weit getrieben, Marie.« Sie zuckte hilflos mit den Schultern. »Er will keine Nachrichten annehmen. Gib ihm Zeit, vielleicht beruhigt er sich wieder.«
Das Osterfest kam, zu dem wieder fast alle von Aliénors Vasallen geladen waren. Zusammen mit den übrigen Stadtbewohnern sah der Hofstaat beim Osterspiel vor dem Eingangstor der Kathedrale zu, die noch von Gerüsten umgeben war, da der Bau erst vor ein paar Jahren begonnen worden
war. Marie lauschte dem Wechselgesang der drei Marien vor dem leeren Grab Jesu, beobachtete das Erscheinen des auferstandenen Heilands und den Wettlauf der Apostel. Sie genoss den lieblichen Klang der Knabenstimmen, die Frauenrollen übernahmen, und war stolz, dass sie bereits den Großteil des lateinischen Textes verstand. Im Geiste stellte sie sich ihre Lais als Schauspiel vor und suchte unter den versammelten Menschen nach geeigneten Darstellern.
Danach begann die Feier im Empfangssaal. In Montmirail hatte Henri offiziell allen Aufständischen vergeben. Nun hob Aliénor sämtliche Urteile zur Verbannung auf, gab eingezogene Ländereien zurück und ließ ihren Sohn als zukünftigen Herzog feiern. Dienstboten trugen ein Mahl nach dem anderen herein, sodass Marie allmählich aufhörte, die Gänge zu zählen. Als ihr Appetit nachließ, lehnte sie sich mit ihrem Weinpokal zurück und ließ ihren Blick durch den Saal wandern.
Isabelles Gemahl, der Graf Philipp von Flandern, saß nun neben seiner Frau. Aus Isabelle war ein verschüchtertes Kätzchen geworden, das sich bei jeder Bewegung des großen Mannes an seiner Seite leicht duckte. Seit der Ankunft ihres Gemahls in Poitiers hatte sie ihr Gemach kaum noch verlassen, und die Ritter an der Tafel waren klug genug, ihr keine aufmerksamen Blicke mehr zuzuwerfen.
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