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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Unterlippe. Marie seufzte innerlich. Warum konnte Aliénors ältester Sohn es nicht ertragen, nur eine Weile nicht im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen, ohne gleich wie ein verwöhntes Kind zu nörgeln? Das angeregte Plaudern wurde merklich leiser. Der Graf von La Marche warf der Königin einen fragenden Blick zu. Zwischen Aliénors Brauen war eine tiefe, strenge Falte erschienen.
    »Sorge zunächst dafür, dass dein Vater dir auch wirklich das Erbe überlässt, das dir versprochen wurde«, fuhr sie den jungen Henry scharf an. »Dann bereden wir den Rest.«
    Rote Flecken erschienen auf Henrys Wangen. Er rutschte auf seinem Stuhl herum, doch der bohrende Blick seiner Mutter hinderte ihn daran, weiter Unmut zu äußern. Wieder überkam Marie ein Gefühl des Unbehagens. Sie wünschte sich, dass in Poitiers alles so blieb, wie es war, auch wenn sie Jean für immer verloren hatte.
     
    Zunächst gingen die Festlichkeiten weiter, denn Aliénor wollte die Pracht ihres Hofstaates auch im Umland zur Schau stellen. Marie nahm an feierlichen Messen in den Kathedralen von Limoges, Niort und Angoulême teil, verteilte unterwegs Almosen an Arme und wurde Zeugin der Einweihung eines Spitals in Poitiers. Entsprechend Aliénors Wünschen erhielt sie drei neue Bliauts aus feinster Seide und fegte den Boden nun ebenfalls mit ihren Schleppen, denn als Gefolgsdame der Königin durfte sie nicht schäbig wirken. Das Herumreisen lenkte sie ab. Nur wenn sie allein auf
ihrer Matratze lag, wurden die Erinnerungen an Jean deutlich und quälend.
    Das Pfingstfest wurde wieder im Palast von Poitiers gefeiert, und diesmal trafen noch mehr Ritter zu den Turnieren ein. Emma stellte sich prächtig herausgeputzt am Rande der Wiesen zur Schau. Da der Graf von Flandern Isabelle mitgenommen hatte, drängte sie nun Marie, ihr Gesellschaft zu leisten. Marie willigte nach einigem Zögern ein. Sie musste sich daran gewöhnen, Jean zu sehen, ohne dadurch aufgewühlt zu werden. Mit jedem Tag wurde es leichter. Er beachtete sie nicht, und sie lernte, auch nicht mehr in seine Richtung zu blicken. Gelassen saß sie auf ihrem Zelter, beobachtete, wie Ritter sich aufeinanderstürzten, mit Lanzen und Schwertern zustachen, immer wieder aus dem Sattel fielen. Verletzte und Tote wurden fortgetragen. Zwar sollten die Turniere nicht lebensgefährlich sein, doch wurde dieses Gebot in der Hitze des Gefechts oft vergessen.
    Schließlich veranstaltete Aliénor ein großes Fest zu Ehren der tapferen Kämpfer. Auf den Straßen der Stadt wurden Tische und Bänke aufgestellt, doch war Poitiers zu klein, um alle Gäste zu bewirten, sodass die Stadttore geöffnet wurden. Auf den umliegenden Hügeln stellte man weitere Tische auf. An Baumstämmen befestigte Kerzen sollten selbst nach Einbruch der Dämmerung Licht spenden.
    Hawisa summte fröhlich, als sie Maries Haar bürstete.
    »Das wird eine wunderschöne, laue Nacht. Ich möchte tanzen, bis meine Beine unter mir nachgeben. Und du tue mir einen Gefallen und verzichte auf den Schleier«, meinte sie und flocht einen kunstvollen Knoten aus den widerspenstigen Strähnen. »Du solltest dich auch nach einem hübschen Ritter umsehen. Es wird Zeit, dass du wieder Freude am Leben findest.« Sie lächelte aufmunternd, während
sie mit glitzernden Steinen verzierte Nadeln in ihr Werk steckte.
    Marie senkte den Blick. Sie wollte niemand anderen als Jean, den sie vergessen musste. Aber sie sah keinen Sinn darin, dies der lebensfrohen Hawisa zu erklären. Geduldig ließ sie sich den blauen Bliaut überziehen, verschnürte ihre Kordel und schlüpfte in ihre Schuhe. Der Spiegel war gnädig, denn sie fand sich einigermaßen hübsch, auch wenn sie es nicht mit Emma aufnehmen konnte, die prächtig geschmückt und geschminkt hereingeeilt kam.
    »Lass uns aufbrechen, sonst bekommen wir keinen guten Platz mehr«, rief sie aufgeregt. Marie folgte ihr auf den schützenden Trippen in das bunte Treiben der Stadt hinaus. Aliénor zog mit Richard und Alais herum, doch ihre Damen waren an diesem Abend sich selbst überlassen. An Emmas Seite lauschte Marie den Melodien der Straßenmusikanten, verteilte ein paar Münzen an Bettler und erstand gebratene Äpfel von einem Straßenhändler. Schließlich ließen sie sich an einem Tisch nahe dem Pont Joubert nieder. Fünf Ritter begrüßten sie und winkten einen Diener heran, um ihnen Wein einschenken zu lassen. Emmas Gesicht leuchtete freudig. Sie hatte gelernt, alle Aufmerksamkeit zu genießen,

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