Die Dichterin von Aquitanien
noch niemals jemanden abgeworfen«, erklärte er. »Ich habe die Stute gleich Marie genannt, als ich sie unterwegs erwarb«. Marie enthielt sich jeden Kommentars, denn sie mochte den Humor des Ritters nicht besonders. Stattdessen strich sie sanft über den Kopf ihrer Namensgenossin, nahm erleichtert den warmen, freundlichen Ausdruck der Pferdeaugen zur Kenntnis.
»Wir werden gut miteinander auskommen«, flüsterte sie der Stute hoffnungsvoll ins Ohr und presste sich an deren Körper.
Die Dorfbewohner bildeten einen stummen Kreis um Marie und den Ritter. Wieder sah sie neidische Blicke, die das Pferd streiften. Ihr wurde die Schönheit dieser vierbeinigen Marie bewusst. Neben den Eseln und Straßenhunden von Huguet wirkte ihr Zelter so edel, wie es einst die Königin gewesen war.
Der Pfarrer erschien und sprach ein paar Abschiedsworte, vor denen Maries Ohren sich verschlossen. Sie wollte nicht nochmals hören, wie wichtig Bescheidenheit und Keuschheit ihr stets zu sein hatten. Was sie am Hof eines Königs erwartete, war ihr selbst nicht klar, doch wusste sie genau, dass der Pfarrer von alldem ebenso wenig Ahnung hatte, denn er kannte nur das Kloster und später dieses Dorf.
Ihr Bündel und Cleopatras Käfig wurden am Sattel der Stute befestigt. Dann sah sie, wie der Ritter einen Fuß auf den Steigbügel setzte und kurz darauf breitbeinig auf dem Sattel landete. Sie versuchte diese schwungvolle Bewegung nachzuahmen, doch leider wollte ihr das trotz aller Mühe nicht gelingen, sie verlor das Gleichgewicht und klammerte sich hilflos an die Mähne der Stute, die nervös zu tänzeln begann. Marie sah sich bereits vor aller Augen im Schlamm liegen, als hilfreiche Hände sie stützten, bis sie endlich fest im Sattel saß. Sie wandte sich um und erblickte Pierre. Ein verzweifeltes Sehnen zog durch ihren ganzen Körper. Sie wollte sich in die Arme ihres Retters stürzen, doch der trat mit gesenktem Blick einen Schritt zurück.
»Nun beginnt unsere Reise, Demoiselle Marie!«, rief Guy de Osteilli und trieb sein Pferd voran. Sie bemerkte staunend, wie er noch einmal den Kopf wandte, um Pierre zu mustern. Ihr schien, als bestünde zwischen beiden Männern eine wortlose Absprache, wie mit der unehelichen Tochter eines Fürsten zu verfahren sei. Zorn wallte in ihr auf, denn niemand befand es für nötig, nach ihren eigenen Wünschen zu fragen, doch wusste sie mittlerweile, dass jede Auflehnung sie nur lächerlich gemacht hätte. Der vertraute Anblick der Hütten von Huguet drang noch einmal kurz und heftig in ihr Bewusstsein. An diesem Ort hatte sich ihr bisheriges Leben abgespielt, und nun sollte sie ihn verlassen, vielleicht für immer. Sie konnte nicht umhin, ihre Augen wehmütig
auf Pierre zu richten, sodass ihrer beiden Blicke sich ein letztes Mal trafen.
»Ich wünsche dir alles Glück der Welt, Marie«, hörte sie ihn leise sagen. In diesem Moment wurde ihr endgültig bewusst, dass es kein Zurück mehr gab.
Schon am ersten Nachmittag der Reise spürte Marie ein Ziehen in den Oberschenkeln und stechenden Schmerz im Rücken. Sie hatte den Ritter aufmerksam beobachtet und seine Beinbewegungen nachgeahmt, mit denen er das Pferd vorantrieb und lenkte. Es freute sie, dass auch ihr Zelter gehorsam vor sich hin schritt, doch vielleicht folgte er aus Gewohnheit dem Ross Guy de Osteillis. Hinter sich hörte Marie Cleopatra immer wieder empört krächzen, denn es gefiel ihr gar nicht, in ihrem Gefängnis auch noch durchgeschüttelt zu werden. Guy de Osteilli saß recht entspannt im Sattel, was Marie hoffen ließ, dass auch ihr Körper sich mit der Zeit an diese Haltung gewöhnen würde. Sie betrachtete den Ritter manchmal aus den Augenwinkeln, weigerte sich jedoch, ein Wort an ihn zu richten. Er sollte nicht merken, wie niedergeschlagen sie war.
Wald und Wiesen zogen an ihnen vorbei, gelegentlich einige Dörfer, die nicht anders aussahen als Huguet. Marie fragte sich, ob es endlos so weitergehen würde, bis sie ans Ende der Welt gelangten. Cleopatra verstummte allmählich, als habe sie ein ähnliches Gefühl der Hoffnungslosigkeit befallen. Erst nachdem die Dämmerung das Land in trostloses Grau zu tauchen begann, tauchten am Horizont steinerne Wände auf, die ein Geheimnis zu umschließen schienen.
»Da sieht man schon die Stadtmauer von Saint Denis, Demoiselle«, unterbrach Guy de Osteilli das lange Schweigen. »Nun werden wir endlich eine anständige Herberge finden,
annehmbares Essen und ein paar Lederschuhe für Eure
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