Die Dichterin von Aquitanien
unseren
Plänen, doch schwankte er noch. Das könnte sich jetzt ändern«, redete Raoul de Faye weiter.
»Louis schwankt immer«, erwiderte Aliénor. »Ich war lang genug mit ihm vermählt, um ihn zu kennen. Er zögert bis zum letzten Moment, dann trifft er plötzlich eine Entscheidung, die oft völlig verkehrt ist.«
»Das mag ja sein«, kam es von Raoul de Faye. »Doch sollten wir Boten an alle fürstlichen Höfe schicken, Hoheit. Auch an jene, die sich bisher neutral verhielten. Bald könnte der richtige Moment sein, um loszuschlagen.«
Aliénor schüttelte nach kurzem Zögern den Kopf.
»Wir warten ab. Henri ist gerissen. Wir dürfen ihn nicht unterschätzen, sonst zieht er unerwartet den Kopf aus der Schlinge. Aber wir können Boten schicken und unsere Empörung über die Ermordung des Erzbischofs kundtun. Dann sehen wir, welche Erwiderungen kommen.«
Die Königin nahm einen Schluck Wein. Ihre Miene hatte einen harten, entschlossenen Zug angenommen. Plötzlich wandte Aliénor sich Marie zu.
»Du hast gelauscht, nicht wahr?«, meinte sie völlig sachlich. Marie konnte nur nicken.
»Nun, das macht nichts, denn ich traue dir«, fuhr die Königin fort. »Ich habe aus dir eine gefeierte Dichterin gemacht. Ohne mich wärest du noch in der walisischen Wildnis, vergiss das nicht.«
Marie nickte nochmals. Ihr war unwohl, und sie wäre am liebsten aufgestanden und fortgerannt.
»Ich würde Euch niemals schaden wollen, Hoheit«, begann sie völlig ehrlich. »Doch ich frage mich, ob es nicht möglich wäre, die Dinge einfach auf sich beruhen zu lassen und den Frieden zu wahren, denn es bereitet uns allen große Freude, in Aquitanien unter Eurer Herrschaft zu leben.«
Aliénor schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln und fuhr mit ihren beringten Fingern über Maries Arm.
»Du redest wie eine Frau, Marie. Du willst deinen Frieden und dein Glück. Aber ich kann nicht ohne Macht leben. Sie war mir stets wichtiger als alles andere.«
»Aber ein Krieg gegen den König könnte uns alle ins Unglück stürzen!«, meinte Marie und erschrak sogleich über ihre Unverfrorenheit. Zum Glück hatte sie so leise gesprochen, dass nicht einmal Raoul de Faye es mitbekam.
»Ich werde keinen Krieg führen, wenn er sich vermeiden lässt«, entgegnete Aliénor ruhig. »Aber meine Ländereien sollen unter keinem Tyrannen leiden. Wenn Henri sie Richard überlässt und auch sonst seine Versprechen erfüllt, wird es keinen Krieg geben. Mach dir keine Sorgen und schreibe weiter deine Lais. Oder auch etwas anderes, wenn du möchtest. Ich kann dir alle Bücher besorgen, die du dir wünschst.«
Marie bedankte sich erleichtert. Es war unnötig, an Aliénors Verstand zu zweifeln. Sie sah, dass Jean endlich in ihre Richtung blickte, und lächelte ihm so unauffällig wie möglich zu. Sobald sie wieder in seinen Armen lag, wären alle Sorgen vergessen.
»Das mit Irland war eine hervorragende Idee, heißt es.« Emma steckte eine schwarze Olive zwischen ihre rot bemalten Lippen. »Der schlaue Henri lenkt von seinem großen Vergehen ab, indem er sich in einen Eroberungskrieg stürzt. Der Papst soll ihn selbst einmal aufgefordert haben, die wilden, gottlosen Iren zu unterwerfen. Jetzt gehorcht er brav, obwohl der Kirchenbann über ihm schwebt.«
Hawisa trug ein Tablett mit frischen Früchten herein. Emma war unangekündigt zum Morgenmahl in Maries Gemächern erschienen, doch abgesehen von der Harfe, die
auch das Eigentum einer Dame sein konnte, wies glücklicherweise nichts auf den Gast der vergangenen Nacht hin. Trotzdem rumorte es in Maries Magen nervös, und sie verspürte nicht den geringsten Appetit. Auch die Neuigkeiten, dass Henri aufgebrochen war, um Irland zu erobern, berührten sie kaum.
»Becket gilt jetzt schon als heilig, obwohl er zu Lebzeiten so einigen Menschen das Leben schwer machte«, plauderte Emma weiter und nippte an dem kühlen Weißwein, den Hawisa ihr eingeschenkt hatte.
»Menschen sollen sein Blut in der Kathedrale aufgewischt haben, um es als Reliquie aufzubewahren. Wir leben in aufregenden Zeiten, kleine Nichte.«
Vor Maries innerem Auge tauchten Blutlachen auf. Der große, dunkelhaarige Mann, den sie damals in Southhampton gesehen hatte, lag leblos in all dem Rot. Sein Bauch war aufgerissen, Gedärme quollen heraus so wie damals bei dem Keiler …
Sie sprang auf und hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, doch gelang es ihr nicht, das Würgen zu unterdrücken. Da sie heute noch nichts gegessen hatte, drang
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