Die Dichterin von Aquitanien
vorwärtskäme. Nach einer Weile wurde ihr klar, dass es Widerständen auszuweichen galt, in welche die lange Spitze sich bohren konnte. Ansonsten schützte das Leder ihre Füße weitaus besser vor Schmutz und Schlamm als alle Stoffbinden und war auch angenehmer denn hartes Holz.
Guy de Osteilli führte sie schließlich zu einem weiteren Händler, der knusprig gebratene Hähnchen auf einem Spieß drehte, um sie an Vorbeigehende zu verkaufen. Sie verzehrten gemeinsam eines davon und leerten in aller Ruhe zwei große Becher Bier. Marie, die niemals Begeisterung für die Arbeit in der Küche hatte aufbringen können, entdeckte neue Vorzüge am Leben in der Stadt. Aber vermutlich konnten nur wenige Leute es sich leisten, ihre Mägen regelmäßig bei tüchtigen Straßenhändlern zu füllen.
Danach brachen sie wieder auf. Marie hatte sich in der Herberge nochmals umgezogen, denn sie wollte das schöne Gewand schonen. Als sie den Schleier ablegte, war sie erleichtert, denn er hatte ihr Blickfeld eingeengt, ebenso wie das Gebände sich immer eindeutiger in eine Fessel verwandelt hatte. In ihrem groben Leinenkittel und dem Überwurf aus Wolle konnte sie sich sorglos bewegen. Nur die Schuhe behielt sie an, denn sie verliehen ihr tatsächlich festen Halt in den Steigbügeln.
Das sonnige, warme Wetter hielt an. Cleopatra schien sich mit dem Schicksal versöhnt zu haben, das sie in einem schwankenden Käfig am Sattel hängen ließ. Endlich stieß sie wieder fröhliche Laute aus und genoss die Wärme der Sonnenstrahlen auf ihren Federn. Marie ging es ähnlich. Die Welt hatte wieder Farben bekommen, tat sich bunt und voller Versprechen vor ihr auf. Nach dem Vormittag in der Enge von Saint Denis schien die Weite der Wiesen und Felder berauschend. Sie wünschte sich plötzlich, dass die blauen
Flügel des Bliaut sie tatsächlich durch die Welt tragen könnten, denn in diesem Fall hätte sie ihn auf der Stelle wieder angezogen.
»Sire«, wandte sie sich zum ersten Mal bereitwillig an den Ritter. »Könnt Ihr mir etwas über meinen Onkel, den englischen König erzählen? Ihr steht doch schon länger in seinen Diensten.«
»Allerdings«, erwiderte Guy de Osteilli. »Ich diene ihm seit meiner Kindheit. Er ist ein geborener Herrscher, Demoiselle, klug, willensstark und durchsetzungsfähig. Trotz schwerer Widerstände gelang es ihm, sich als Erbe des englischen Throns durchzusetzen. Vorher hat er es geschafft, eine der begehrtesten und schwierigsten Frauen der Christenheit zu seinem Weib zu machen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger vermag er sie auch in ihre Grenzen zu weisen.«
Wieder tönte jenes spöttische Kichern, das Marie an dem Ritter nicht unbedingt schätzte. Gleichzeitig zerriss ein Schleier vor ihren Augen. Die Trauer schien sie begriffsstutzig und taub gemacht zu haben, denn sie wusste doch bereits seit Längerem, dass Aliénor, die einstige französische Königin, sich nach der Auflösung ihrer Ehe mit Henri d’Anjou, dem neuen Herrscher Englands vermählt hatte. Ihr Herz pochte aufgeregt in ihrer Brust. Sie war also unterwegs ins Schloss der schönen Dame, von dem sie bereits so oft geträumt hatte!
»Ihr redet über die Herzogin von Aquitanien«, erklärte sie stolz. Nun würde Guy de Osteilli sie für kein unwissendes Bauernmädchen mehr halten.
»In der Tat, die schöne Aliénor. Angeblich singen sogar die Studenten im Reich des Kaisers Barbarossa Lieder über ihre Reize. Die Frau ist eine wahre Teufelin, Demoiselle. Dem armen Louis von Frankreich tanzte sie auf der Nase herum. So leicht wird sie es mit Henri nicht haben.«
Sein abfälliger Tonfall versetzte Marie einen Stich.
»Was ist denn so teuflisch an Aliénor von Aquitanien?«, bohrte sie nach, obwohl sie bereits die Reden der Händler gehört hatte.
»Nun, sie mischt sich gern in politische Angelegenheiten, obwohl die Kirchenmänner meinen, das stünde einer Frau nicht zu. Doch Königin Aliénor stammt aus einem Land, wo man Pfaffen, die sich schwierig zeigen, mit dem Schwert bedroht.« Der Richter brach in fröhliches Gelächter aus. Marie war immer noch nicht klar, wie sie ihn einzuschätzen hatte. Was den Priester von Huguet zu lautstarken Ausbrüchen der Empörung gebracht hätte, schien Guy de Osteilli nur ein gelungener Scherz. Gleichzeitig aber betonte er immer wieder, wie wichtig es sei, sich an bestimmte Regeln zu halten.
»Und stellt sie sich denn dumm an, wenn es um politische Fragen geht?«, fragte Marie weiter. Sie wusste selbst nicht,
Weitere Kostenlose Bücher