Die Dichterin von Aquitanien
warum sie mit ganzem Herzen hoffte, Aliénor von Aquitanien sei dabei nicht so ungeschickt gewesen, um die schlechte Meinung, welche Männer oft vom Verstand der Frauen hatten, zu bestätigen.
Guy de Osteilli zuckte mit den Schultern.
»Manchmal mehr und dann wieder weniger. Sie ist eitel und kümmert sich hauptsächlich um ihre eigenen Interessen. Aber das tun auch viele Männer.«
Er lächelte Marie an, doch plötzlich legte sich ein Schatten über sein Gesicht.
»Es steht mir nicht zu, über meine Herrschaften zu plaudern, als seien sie gewöhnliche Menschen«, sagte er todernst. »Macht Euch Euer eigenes Bild, wenn wir in Chinon sind.«
Marie nickte verwirrt. Sie ahnte, dass ihr ein Leben in völlig ungewohnter Umgebung bevorstand, und wollte mehr darüber erfahren. Warum schien Guy de Osteilli ihr zu misstrauen? Stets war sie ein Niemand gewesen, eine Außenseiterin,
die Pierres Eltern nicht als Schwiegertochter haben wollten. Guy de Osteilli war eingeschritten, als sie Pierres Geliebte hätte werden können, doch das sicher nicht, weil er auf der Seite des Schmieds von Huguet stand. Plötzlich hörte sie wieder seine Worte, als er sie zusammen mit dem Jungen überrascht hatte, und verstand. Sie war die Nichte eines Königs, wenn auch als Bastard geboren.
»Was auch immer Ihr mir erzählt, ich werde es nirgendwo ausplaudern. Das schwöre ich bei der Heiligen Jungfrau«, rief sie entschlossen. Das glatt rasierte Gesicht wandte sich ihr nochmals zu. Eine Braue wölbte sich über dem rechten Auge.
»Die Jungfrau Maria und alle Heiligen sind schon die Bürgen vieler Eide gewesen, Demoiselle Marie. Glaubt mir, die meisten wurden dennoch gebrochen. Ihr habt keine Ahnung von dem Leben, das Euch erwartet. Wenn es um Reichtum und Ansehen ging, da haben bereits Kinder ihre Eltern verraten und Frauen jene Männer, denen sie ewige Liebe geschworen hatten.«
Marie holte Luft, um empört zu widersprechen, doch wollten ihr nicht die rechten Worte einfallen. Guy de Osteilli hatte recht, sie wusste nicht, wie es am Hofe eines Königs zuging. Der Umstand, dass ein Mann, dessen Leben sich in der Nähe ihres königlichen Onkels abgespielt hatte, so schlecht von der Menschheit dachte, weckte unangenehme Vorahnungen.
»Der heilige Petrus meint es jedenfalls gut mit uns«, lenkte Guy de Osteilli etwas verlegen von dem heiklen Thema ab. »Die Sonne lacht uns schon seit vielen Stunden ins Gesicht.«
Marie nickte, doch gab sie keine Antwort. Es war ihr lieber zu schweigen, denn über Belanglosigkeiten zu plaudern. So erreichten sie das schattige Reich eines Waldes. Marie zog ihre Kapuze hoch und legte den Kopf an den Hals ihrer
Stute, um Ästen auszuweichen. Dann spürte sie plötzlich eine Hand an ihrem Bein und erstarrte vor Schreck. Viel zu spät wurde ihr klar, dass sie ihren Zelter sogleich hätte losgaloppieren lassen müssen, um sich loszureißen. Nun umschloss ein kräftiger Griff ihren Knöchel, drohte sie aus dem Sattel zu reißen, falls sie weiterritt.
»Welch reizende Maid hier den Wald besucht«, ertönte eine raue Männerstimme. »Die möchte ich mir genauer ansehen.«
Mit einem flauen Gefühl im Bauch wandte Marie den Kopf. Neben ihr stand ein in Lumpen gehüllter, breitschultriger Kerl, dessen Gesicht von eitrigem Ausschlag zerfressen war wie bei einigen der Bettler in Saint Denis.
»Du willst mich genauer ansehen?«, sagte Marie so gelassen wie möglich. Sie schlug die Kapuze zurück, schüttelte ihre Locken und sah dem Fremden gefasst ins Gesicht. Sein rechtes Auge war milchig weiß, doch in dem linken, das noch lebte, funkelte eine Mischung aus Gier und hasserfülltem Spott.
»Nun, jetzt hast du mich gesehen. Lass mich nun weiterreiten, denn wir sind in Eile«, erklärte sie und lächelte gezwungen, doch die Fessel an ihrem Bein löste sich nicht.
»Du gefällst mir, Mädchen. Steig doch ab und leiste mir ein bisschen Gesellschaft«, meinte der Mann, grinste und zeigte dabei ein zahnloses Gebiss. »Ein wenig, wie soll ich sagen, erinnerst du mich an mein Weib, das Gott der Herr zu sich gerufen hat.«
»Das ist sehr bedauerlich«, hörte Marie plötzlich Guy de Osteilli sagen und war dankbarer als jemals zuvor, ihn bei sich zu haben. Er war an ihre Seite geritten, und seine Hand strich wie zufällig über den Knauf seines Schwerts, bevor er einen Beutel aus der Tasche zog, um dem Fremden ein paar Münzen vor die Füße zu werfen.
»Erwerbe einen schönen Grabstein für deine Frau oder zünde in der
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