Die Dichterin von Aquitanien
sie sich an den Ritter. Sie staunte selbst, wie fröhlich ihre Stimme klang.
»Zunächst«, erwiderte Guy de Osteilli, »besorgen wir Euch ein paar Schuhe.«
Saint Denis bestand aus zahllosen Ecken und Gassen. Marie fühlte sich an jenen Irrgarten erinnert, der in einer von Guillaumes Geschichten vorgekommen war, und begriff nicht, wie die Bewohner einer Stadt regelmäßig ihr Heim wiederfinden konnten. Doch der Ritter ging sehr zielstrebig voran, brachte sie zu einem Mann, der ihre Füße mit Holzstäben ausmaß und, nachdem einige Münzen in seiner Hand gelandet waren, versprach, bis zur Mittagszeit geeignetes Schuhwerk für die junge Dame angefertigt zu haben. Dann irrten sie weiter durch das Getümmel. In einer hölzernen Bude, wo mehrere Truhen standen, konnte Marie ihre Hände in weiche, farbenprächtige Stoffe sinken lassen.
»Dies ist ein Laden, den nur Eingeweihte kennen. Hier werden die abgelegten Gewänder wohlhabender Damen angeboten. Sie wurden entweder aus Not heimlich verkauft oder vielleicht auch von Dienstmägden entwendet«, erklärte Guy de Osteilli gelassen. »Ich hoffe, Ihr vergebt mir, aber wir haben nicht genug Zeit, eines nähen zu lassen. Sucht aus, was Euch gefällt. Ihr braucht eine Chemise und einen Bliaut zum Drüberziehen. Da das Wetter demnächst abkühlen könnte, wäre auch ein Umhang nicht schlecht. Vielleicht finden sich noch ein passendes Gebände und ein Schleier für Euren Kopf. Das muss eine unverheiratete Frau zwar nicht unbedingt tragen, aber es wirkt sittsamer. Dann seht ihr nicht mehr aus wie eine Bauernmagd, wenn wir in Chinon ankommen.«
Marie nickte und empfand zum ersten Mal so etwas wie Dankbarkeit, denn offenbar schien Guy de Osteilli zu wünschen, dass sie einen guten Eindruck auf ihren königlichen Onkel machte. Sie zog begeistert Gewänder heraus, die leider oft zu lang waren, entschied sich schließlich für eine schlichte Chemise aus weißem Leinen und einen leuchtend blauen Bliaut, der sich eng an ihre Taille schmiegte und darunter in Falten bis zum Boden fiel. Er wurde am Rücken geschnürt, und der Ausschnitt war mit goldenen Stickereien verziert. Die Ärmel saßen am Oberarm dicht an der Haut, unterhalb der Ellbogen weiteten sie sich und mündeten in Spitzen, die bis zu ihren Knöcheln hinabhingen. Sie machte ein paar Schritte, drehte sich und sah Stoffbahnen durch die Luft fliegen. Eine gute Fee war erschienen und hatte ihr blaue Flügel verliehen, damit sie frei schweben konnte wie Cleopatra.
»Ja, das ist nicht übel«, meinte der Ritter nach einer gründlichen Musterung. Dann grub er für sie noch einen passenden Umhang aus etwas dunklerem Blau mit Fuchsfell
am Kragen aus. »Nun müssen wir noch etwas mit Eurem Haar anstellen«, erklärte er schließlich.
Er holte ein leinenes Band aus einer der Truhen, legte es unter Maries Kinn und zog energisch daran, bevor er auf ihrem Kopf einen Knoten band.
»Wir brauchen nur noch eine Kopfbedeckung«, sagte er dann zufrieden. Marie schüttelte sich widerwillig und zerrte an dem Band, das ihre Kiefer zusammenpresste.
»So kann ich doch kaum reden!«, empörte sie sich.
»Das mit dem Reden solltet Ihr auch tunlichst lassen«, erwiderte der Ritter nun wieder mit dem gewohnten Spott. »Denn mit Verlaub, Demoiselle, Ihr habt ein reichlich freches Mundwerk.«
Marie beschloss, ihren Zorn diesmal zu schlucken. Guy de Osteilli hatte einen fein gewebten Schleier mit goldener Borte über ihr Haar gelegt, und sie drehte sich erneut, um noch einmal von all dieser Pracht umhüllt zu sein. Der Augenblick war zu schön, sie wollte ihn nicht durch einen sinnlosen Streit zerstören.
Der Händler packte ihre alte Kleidung in ein Bündel, das Marie bereitwillig annahm. Sie war sich nicht sicher, ob sie für immer auf den schlichten, bequemen Kittel aus Leinen verzichten wollte, doch eine Weile mochte es durchaus reizvoll sein, als Dame durch die unbekannte Stadt zu laufen. Glücklicherweise war die Chemise lang genug, um die Stofffetzen an ihren Füßen zu verbergen.
Bald schon erhielt Marie ihre ersten Lederschuhe. Der Schuhmacher wendete das Innere nach außen, bevor er sie über ihre Füße streifte, die inzwischen in Strümpfen aus feiner, zarter Wolle steckten. Marie staunte, dass ihre Zehen durch eine Spitze künstlich verlängert wurden, doch der Ritter versicherte, dies sei bei vornehmen Leuten üblich. Unsicher lief sie los, denn es schien ihr fragwürdig, ob sie mit
derart seltsam verformten Füßen gut
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