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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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loszulassen. Nun setzte Marie sich in Bewegung. Als das Bettlergesicht sich ihr zuwandte, hob sie den Ast zum Schlag.
     
    Sie sprangen wieder in die Sattel ihrer Pferde, ließen die reglosen Gestalten auf dem Boden liegen und flohen aus dem Dickicht der Bäume, bis der dunkle Wald weit hinter ihnen lag. Mit einem Mal wollte Marie nur noch überschaubares Gelände um sich haben, wo nicht die Gefahr eines Hinterhalts drohte. Sosehr sie sich auch bemühte, wieder ruhig und gefasst zu wirken, konnte sie das ständige Beben ihres Körpers nicht unterdrücken. Nun war ihr klar geworden, warum Guillaume ihren Plan, Huguet zu verlassen und sich als Dichterin durchzuschlagen, verlacht hatte. Wenn ein junges Mädchen selbst in Begleitung eines bewaffneten Ritters
nicht sicher war, wie weit wäre sie dann wohl allein gekommen? In der Hoffnung, wenigstens das Klappern ihrer Zähne zu bezwingen, presste sie entschlossen die Kiefer zusammen.
    »Nun, das war ein etwas unschönes Erlebnis«, meinte der Ritter mit dem gewohnten Spott, nachdem er sein Pferd auf einer weiten, übersichtlichen Wiese zum Stehen gebracht hatte. »Fast hätten da drei Landstreicher mir diesen schönen Tag verdorben.«
    Er schwang sich aus dem Sattel und ging zu einem Bach, der in der Nähe plätscherte. Marie bezwang den Wunsch, ihm hinterherzueilen, obwohl sie plötzlich panische Angst davor hatte, allein zu sein. Langsam stieg sie ebenfalls ab, lehnte sich an den warmen Körper des Zelters und strich über die Stäbe von Cleopatras Käfig. Der Vogel kauerte verängstigt auf dem Boden, doch er erkannte den Klang von Maries Stimme und knabberte zaghaft an ihren Fingern. Dass ein anderes Wesen solches Vertrauen in sie hatte, half Marie, endlich Ruhe zu finden. Die Welt bekam klare, sichere Umrisse. Sie waren dem Wald mit seinen Dämonen entkommen.
    Als Guy de Osteilli zurückkam, bemerkte sie, wie sehr er bemüht war, das rechte Bein beim Gehen weniger zu belasten. Er hatte den Schmutz von seinem Gesicht gewaschen, wodurch deutlich sichtbar wurde, dass es bei jedem seiner Schritte gequält zuckte. Doch alle Schmerzen, die er empfinden mochte, änderten nichts an seinem beharrlichen Grinsen. Marie verwarf den Gedanken, ihm ihre Hilfe beim Verbinden möglicher Wunden anzubieten, denn er schien sie auf Abstand halten zu wollen. Gelassen holte er nun die Wasserflasche aus der Satteltasche, nahm einen Schluck und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.
    »Ich hätte ein junges Mädchen nicht alleine holen sollen, auch wenn es mir gefällt, völlig frei durch die Welt zu
ziehen«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Marie. »Diese Gegend wird nicht von König Henri beherrscht, deshalb treibt sich hier viel Gesindel herum. Louis von Frankreich hat nicht genug Durchsetzungsvermögen.«
    »Heißt das, mein … mein Onkel sorgt dafür, dass seine Untertanen zufrieden sind und nicht verbittert in den Wäldern hocken, um ihre Wut an harmlosen Reisenden auszulassen?«, fragte sie voller Neugier. Der hasserfüllte, einäugige Blick steckte immer noch wie ein Stachel in ihrer Erinnerung. Guy de Osteilli stieß ein leises Lachen aus.
    »Es heißt lediglich, dass Euer königlicher Verwandter ihnen sogleich den Garaus machen lässt, wenn sie ungemütlich werden«, erwiderte er gleichmütig und hielt ihr anschließend die Wasserflasche hin. »Ich muss sagen, Ihr habt ein sehr dickköpfiges, störrisches Wesen, Demoiselle, denn Ihr seid trotz meiner ausdrücklichen Weisung nicht geflohen«, fuhr er fort, während sie trank.
    Marie setzte die Flasche ab und senkte den Blick. Die Ereignisse waren immer noch ein wirres Dickicht in ihrem Kopf, das sie nicht ganz überblicken konnte. Hatte sie sich ungeschickt verhalten und die Lage dadurch noch verschlimmert? Mit einem Mal schämte sie sich, ein Klotz am Bein dieses Ritters zu sein.
    »Aber andererseits«, fuhr er auch schon fort. »Hätten die drei Kerle mich umgebracht, wenn Ihr nicht eingeschritten wärt und mit dem Ast zugeschlagen hättet. Manchmal scheint weiblicher Eigensinn ungeahnte Vorzüge zu haben.«
    Er schwang sich mit einem kaum hörbaren Stöhnen wieder in den Sattel.
    »Lasst uns den nächsten bewohnten Ort aufsuchen, Demoiselle. Im Freien möchte ich nun wirklich nicht übernachten.«
    Sie nickte und folgte seinem Beispiel. Es überraschte sie,
wie glücklich sie war, von ihm als nützlich bezeichnet worden zu sein.
    »Was Eure Fragen über Euren Onkel und dessen Gemahlin betrifft«, meinte Guy de Osteilli nach

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