Die Dichterin von Aquitanien
entsprungen.
»Aliénor hatte stets eine gute Nase für Schönheit und künstlerische Begabung. Das wollte ich immer von ihr lernen. Ein kluger Herrscher umgibt sich mit Pracht und Glanz, um seine Untertanen zu beeindrucken. Und du, Marie, kannst mir Glanz verleihen.«
Sie starrte ratlos in sein Gesicht. Die Worte ergaben keinen Sinn.
»Deine Lais sind … wie soll sich sagen …«
»Aufwieglerisch«, wiederholte sie die Worte von David ben Jehuda.
»Richtig«, stimmte Henri zu. »Aber sie sind auch schön zu lesen, schenken Träume, die glücklich machen. Ich will mehr davon.«
Marie sah ihn schweigend an. Hatte ihr Onkel zu viel Wein getrunken?
»Ich will mehr von diesen Geschichten«, wiederholte er ein wenig barscher, als sei ihm wieder eingefallen, wer hier die Befehlsgewalt hatte. »Vielleicht eine ganze Sammlung. Für mich, denn ich werde es dir ermöglichen, sie zu schreiben. Du bekommst Pergament und Tinte. Wenn du fleißig bist, kann meine reizende Aliénor vielleicht bald schon ein größeres Gemach beziehen, zusammen mit dir natürlich. Vielleicht könnt ihr Spaziergänge im Hof machen. Oder gar ausreiten. Was meinst du dazu?«
Marie nickte ergeben. Sie verstand. Wieder einmal hing ihre Zukunft davon ab, einem Herrscher durch ihre Lais zu gefallen.
»Gut, dann kannst du jetzt gehen«, erklärte der König
knapp. Der kurze Augenblick von Vertrautheit zwischen ihnen war offensichtlich beendet. Marie senkte ehrerbietig den Kopf, bevor sie zur Tür schlich. Henri hatte sich schon wieder dem Braten zugewandt.
»Ach ja, noch etwas«, rief er ihr zu, als sie schon in der Tür stand. »Da ist einer meiner Ritter, der dich gern sehen möchte. Man wird dich gleich zu ihm führen.«
Maries Herz tat einen Sprung, doch sie kämpfte die unsinnige Hoffnung nieder. Jean hatte für Richard gekämpft, er war nicht Henris Mann. Trotzdem zitterte sie fast vor Aufregung, als sie in einen der Innenhöfe der Burg geführt wurde.
Eine vertraute, hochgewachsene Gestalt führte dort ein schwarzes Ross herum, um es dann einem Pferdeknecht zum Striegeln zu übergeben.
»Guy!«, rief Marie nur, vergaß völlig, den Ritter mit Sire anzusprechen. Er fuhr herum, lief ein paar Schritte auf sie zu und legte beide Hände um ihre Taille.
»Ma Dame Marie! Gott sei Dank ist Euch nichts geschehen. Ich machte mir Sorgen. Diese Söldner des Königs sind ziemlich raue Gesellen.«
Marie lachte, als sie in die Höhe gehoben wurde. Guy de Osteilli war Henris Mann, aber auch ihr alter Freund, dessen Augen bei ihrem Anblick vor Freude strahlten.
»Es geht mir gut«, versicherte sie, obwohl das nicht ganz stimmte. Dann wurde die Welt ein wenig heller, denn ihr war ein rettender Gedanke gekommen.
»Bitte, Ihr müsst mir helfen«, flüsterte sie dem Ritter rasch ins Ohr. »Ich brauche jemanden, der eine Nachricht von mir nach Bordeaux schmuggelt.«
Die Spitze ihres Federkiels jagte über das Pergament. Marie hatte den Tisch unmittelbar vor die Schießscharte gestellt, um nicht ständig Kerzen anzünden zu müssen, über deren
Geruch Aliénor klagte. Öllampen wurden ihnen bisher vorenthalten, auch wenn sie standesgemäße Bliauts erhalten hatten und das Essen etwas genießbarer geworden war. Marie war bemüht, die ruhelosen Schritte der Königin aus ihrem Bewusstsein zu verdrängen. Aliénors Versuche, sich mit Lesen und Sticken zu beschäftigen, fielen immer sehr kurz aus. Dann begann sie wieder herumzurennen wie eine eingesperrte Löwin.
»Schreibst du neue Lais?«, riss sie Marie wieder einmal aus ihrer Geschichte.
»Ich stelle zunächst jene zusammen, die ich schon fertig habe, und nehme noch die eine oder andere Verbesserung vor. Zum Glück hatte ich eine Abschrift dabei. Dann will ich noch ein oder zwei neue schreiben für …«
Sie biss sich auf die Lippen.
»Für den König, nicht wahr?«
Marie nickte nur. Sie vermochte Aliénor nicht anzulügen.
»Er wird uns gegenüber gnädiger gestimmt sein, wenn meine Lais ihm gefallen«, erklärte sie, holte dann Luft und sprach ihren letzten Entschluss nach kurzem Zögern aus.
»Ich werde ihm diese Sammlung meiner Lais widmen. Ich hoffe, Ihr vergebt mir.«
»Oh, ich vergebe dir, keine Sorge«, kam es höhnisch zurück. Das Bett erhielt einen Tritt, dann fiel Aliénor auf die Matratze wie eine umgestoßene Statue. »Warum solltest du mir noch etwas widmen? Einer entmachteten, eingesperrten Königin.«
Marie legte den Federkiel zur Seite, eilte zu Aliénor und legte beide
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