Die Dichterin von Aquitanien
Hände auf ihre Schultern.
»Ihr habt mich zu dem gemacht, was ich bin«, sprach sie ihre wahren Empfindungen aus. »Die schönen, edlen Frauen in meinen Lais sind durch die Begegnung mit Euch entstanden. Vielleicht wird man eines Tages nicht mehr wissen, wer
ich war und welchem König ich mein Werk widmete, aber diese Frauen werden in den Lais weiterleben.«
Erstaunlicherweise schien Aliénor das hinzunehmen. Sie lag nur stumm da und starrte zur Decke. Marie ging wieder an ihren Tisch. Gerade hatte sie ihre letzten Zeilen überflogen und den Federkiel ins Tintenfass gesteckt, als die Tür geöffnet wurde.
»Essen für die Damen«, sagte die Magd.
»Wie gnädig. Das Schweinefutter«, erwiderte Aliénor, obwohl der Duft von gebratenem Fleisch das Zimmer durchzog. »Leere bitte auch wieder unseren Nachttopf. Er steht unter dem Bett und riecht ebenso vorzüglich wie der Fraß, den wir bisher erhalten haben.«
»Wie heißt du?«, fragte Marie die Magd.
»Amaria«, kam es knurrend zurück, während Braten und Fladenbrot auf einem Tisch neben dem Bett abgestellt wurden. »Gleich kommt noch Wein.«
Marie erkannte dies als winzige Verbesserung, denn bisher hatten sie nur Wasser erhalten.
»Sollst du uns nur bedienen oder auch Bericht erstatten, was wir treiben?«, bohrte Aliénor nach. Die Magd schwieg jedoch.
»Beides also«, entschied die Königin nach kurzem Warten.
»Die junge Dame soll kurz hinauskommen«, sagte Amaria daraufhin, ohne auf den Hohn der Königin zu achten. »Ein Ritter des Königs will mit ihr reden und hat die Erlaubnis dazu.«
Marie sprang auf, hastete hinaus und folgte Amaria, die den Nachttopf wie eine Trophäe vor sich her trug, in den Innenhof.
»Ich habe eine Überraschung, Ma Dame Marie«, empfing Guy de Ostelli sie dort mit einem Augenzwinkern.
»Eine Nachricht aus Bordeaux?«, fragte sie ungeduldig.
»Nein, ein Besuch.«
Nun entwich ihr ein Freudenschrei.
Guy ergriff sie am Oberarm. »Zeigt Euch nicht zu glücklich, das würde auffallen. Folgt mir mit gesenktem Kopf. Ich habe die Weisung, Euch vorzuschlagen, die Königin zu überreden, dass sie sich zu ihrem eigenen Besten in ein Kloster zurückziehen sollte.«
»Aber Aliénor wird niemals …«
»Ich weiß … Ich weiß. Aber ich soll mit Euch unter vier Augen reden. Jetzt kommt mit.«
Sie gehorchte und ließ sich in ein winziges Turmzimmer führen, wo nicht einmal Platz für einen Tisch war. Nur eine schmale Schießscharte ließ etwas Licht herein, doch reichte es, um Jeans hellblondes Haar aufleuchten zu lassen. Marie presste ihre Hand vor den Mund und biss hinein, damit ihr kein Freudenschrei mehr entwich. Stumm sprang sie in jene Arme, nach denen sie sich viele Nächte lang gesehnt hatte, während sie bemüht gewesen war, eine völlig verzweifelte Aliénor zu trösten. Sie drängte sich an Jeans Körper und wollte wieder mit ihm verschmelzen. Die Welt um sie herum war unwichtig geworden, bis ein verlegenes Räuspern sie aus dem Taumel riss.
»Ich kann mich zwar abwenden, aber nicht hinausgehen«, meinte Guy de Osteilli. Jean schob sie ein Stück von sich.
»Wir müssen uns anständig benehmen, Marie. Wenigstens können wir uns sehen.«
Sie nickte widerwillig.
»Wie kommst du hierher?«
»Mit deinem treuen Freund und Ritter. Er wird mir helfen, in Henris Heer aufgenommen zu werden. So kann ich in deiner Nähe bleiben.«
Sie warf Guy de Osteilli einen dankbaren Blick zu.
»Ich kann hier und da ein Zusammenkommen ermöglichen«,
erklärte er. »Aber haltet euch bitte zurück. Ich vermag nicht zu garantieren, dass nicht plötzlich jemand hereinkommt.«
Maries Freudenrausch wurde von der Wirklichkeit erdrückt. Sollte der Rest ihres Lebens aus heimlichen, kurzen Begegnungen mit Jean bestehen?
»Wo ist Amélie?«, fragte sie nur.
»Bei meiner Mutter. Es schien mir die beste Lösung«, meinte er sanft und strich ihr über die Wange. Marie senkte den Kopf. Es war immer die beste Lösung gewesen, sie von ihrer Tochter zu trennen. Das Leben, von dem sie geträumt hatte, war ihr wieder entrissen worden. Entschlossen ballte sie die Hände zu Fäusten, um die Verzweiflung abzuwehren.
»Der König scheint mich zu mögen«, erklärte sie Jean. »Oder er mag wenigstens meine Lais. Ich werde sie ihm widmen und noch eines oder zwei nur für ihn schreiben. Vielleicht wird er mir dann einen Wunsch erfüllen.«
Sie drängte sich wieder an ihren Geliebten, doch blieb es diesmal bei einer innigen Umarmung.
»Ich bin bald Witwe«,
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