Die Dichterin von Aquitanien
eine helle Frauenstimme zu vernehmen. Getuschel und Gekicher folgten. Aliénor raste zur Tür und schlug mit der Faust gegen das Holz.
»Macht auf! Ich bin die Königin von England und befehle euch, diese Tür zu öffnen.«
Schlagartig wurde es still. Die Schritte entfernten sich.
»Macht sofort auf!«, kreischte Aliénor ihnen hinterher. Ihre Stimme brach, verebbte in einem Schluchzen. Die Königin Englands und Herzogin von Aquitanien sackte in sich zusammen, als hätte sie einen heftigen Tritt erhalten. Wie ein dahingeworfener Sack lag sie vor der Tür, umklammerte mit beiden Armen ihre Knie und weinte haltlos. Marie setzte sich neben sie. Zaghaft streckte sie die Hand aus, und als sie nicht abgewehrt wurde, wagte sie, den schmalen Rücken ihrer Königin zu streicheln.
»Irgendwann lässt man uns sicher hinaus. Wir müssen Geduld haben«, murmelte sie besänftigend. Sie schüttelte die Erinnerung an Wales entschlossen ab. Zehn Schritte von einer Wand zur nächsten. Dieses Zimmer schien kaum größer, doch nicht einmal Henri würde es wagen, die Herzogin von Aquitanien auf Dauer einzusperren.
Aliénor hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen und schluchzte weiter hemmungslos. Zum ersten Mal schien sie Marie einfach nur eine schwache, wehrlose Frau wie so viele andere.
»Ich habe den Krieg verloren und nun auch meine Freiheit.
Es ist alles vorbei, vorbei, vorbei …«, stieß sie hervor und trat im Rhythmus ihrer Worte gegen die Wand. Marie musste schlucken, denn diese Aussage beschrieb wohl auch ihr eigenes Schicksal.
Sie wusste nicht, wie sie jemals zu Jean und ihrer Tochter gelangen sollte, wenn sie eingesperrt und versteckt in einer Burg saß.
»Wir sind noch am Leben«, sprach sie Aliénor und sich selbst Mut zu. »Der König wird Euch nicht töten, dazu seid Ihr zu wichtig. Er weiß sicher noch, welche Folgen die Ermordung Beckets für ihn hatte.«
Das Weinen hörte nicht auf. Aliénor stieß weiter bittere Klagelaute aus, und auch Maries Augen wurden feucht. Die Sehnsucht nach Jean wurde zum ersten Mal seit ihrer Versöhnung wieder zur Qual.
Da legten sich plötzlich die langen, schlanken Arme der Königin um sie. Sie wurde an Aliénors Körper gezogen und festgehalten, während Tränen ihren Wollkittel benetzten. Tief in ihrer Verzweiflung glomm ein Funke von Glück auf, denn sie vermochte der Königin tatsächlich ein wenig Trost zu schenken. Das Beben und Schluchzen legte sich, während Marie sanft über Aliénors Haar strich.
Marie liebte ihre Königin.
Nach einer schier endlosen Zeit des Wartens ging die Tür plötzlich auf. Jener Ritter, der Aliénor auf der Lichtung begrüßt hatte, schob sein breites Gesicht herein.
»Der König wünscht die junge Dame zu sehen«, knurrte er. Aliénor, inzwischen wieder gefasst, richtete sich auf.
»Damit bin doch nicht etwa ich gemeint?«, fragte sie spöttisch.
»Nein. Die andere.«
Marie fühlte, wie ihre Knie weich wurden. Sie warf Aliénor
einen ratlosen Blick zu, erhielt nur ein Nicken zur Antwort.
»Na geh schon!«
Widerwillig ging sie los, doch Aliénors Finger legten sich noch kurz auf ihre Schulter.
»Versuche deine eigene Haut zu retten, Marie«, flüsterte die Königin ihr noch ins Ohr. »Ich kann nichts mehr für dich tun.«
13. Kapitel
E s war tatsächlich Chinon. Marie erkannte die breiten Gänge, freien Innenhöfe und schließlich auch Henris Gemach wieder. Er saß breitbeinig auf seinem Stuhl und nagte an einem Hühnerknochen. Fett lief über sein Kinn, das er bei ihrem Eintreten abwischte.
»Nun, da kommt Geoffroys Tochter!«, begrüßte er sie. »Schon dein Vater fiel mir ständig in den Rücken. Du hast offenbar seine schlechten Eigenschaften geerbt.«
Pflichtbewusst sank Marie in die Knie.
»Steh auf und setz dich! Ich habe mit dir zu reden!«, wurde sie angeherrscht und gehorchte. Der Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren, als sie ihren Blick wieder auf den König zu richten wagte. Er hatte sich in der Zwischenzeit nicht zu seinem Vorteil verändert. Ein Bauch wölbte sich unter seinem Surcot, der Flecken und Risse aufwies. Das rote Haar war schütter geworden, klebte schmierig an seiner Stirn, und der Bart wucherte ungehemmt. Marie fragte sich, ob es an ihrer Zeit unter den eitlen Höflingen Poitiers lag, dass sie ihren Onkel nun sehr ungepflegt, fast verwahrlost fand. Aber vermutlich drängte Rosamond ihn nicht, auf sein Äußeres zu achten, wie Aliénor es all die Jahre getan hatte.
»Nun erkläre mir, kleine
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