Die Dichterin von Aquitanien
Marie, was ich verbrochen habe, um einen derartigen Verrat zu verdienen«, begann der König barsch.
»Euer Hoheit, ich habe Euch nicht verraten«, sagte sie.
»Nein, du hast nur zugesehen und geschwiegen wie all die herausgeputzten Affen in Poitiers. Dann bist du nur meinem verräterischen Weib hinterhergelaufen wie ein treues Hündchen.«
Maries Kinn zuckte in die Höhe.
»Ihr habt mich mit einem Mann vermählt, der mich misshandelte. Eure Gemahlin befreite mich aus dieser Ehe. Deshalb hielt ich ihr die Treue«, erwiderte sie heftig. Verzweiflung konnte einen Menschen sehr mutig machen. Henri musterte sie kopfschüttelnd.
»Deine Ehe war also nicht glücklich. Das ist bedauerlich, aber ich muss ein großes Reich regieren und kann nicht auf die Wünsche eines jeden jungen Mädchens hören. Ich habe hier übrigens eine Botschaft für dich. Aus Wales.«
Maries Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Henri überreichte ihr eine Schriftrolle, die sie mit zitternden Händen öffnete. Der Text war auf Englisch geschrieben. Sie überflog ihn, erkannte als Erstes Vater Brians Unterschrift. Dann sickerte der Inhalt langsam in ihr Bewusstsein.
Cadell lag im Sterben und hatte sich in das Kloster von Strata Abbey zurückgezogen. Der gütige Priester meinte, sein Zögling hätte endlich den Weg zu Gott gefunden, und bat Marie, ihrem Gemahl zu vergeben. Sie schloss kurz die Augen, sah nochmals Cadells Gesicht vor sich, das ihr keinen Schrecken mehr einflößte. Das Atmen fiel ihr nun leichter. Sie würde versuchen zu verzeihen, auch wenn es nicht leicht sein würde.
»Nun, ich sehe eine trauernde Gemahlin. Du weinst, wie ich um Thomas Becket geweint habe. Ein Stachel wird aus deinem Fleisch gerissen, nichts weiter«, meinte der König spöttisch.
»Wundert es Euch? Hat eine Frau ihren Gemahl zu lieben, auch wenn er sie schlimmer als einen Hund behandelt?«
Henri stieß ein kurzes Lachen aus.
»Ich bin kein Narr, Marie. Und auch kein engstirniger Frömmler. Wenn dein Gemahl dich misshandelt hat, dann hattest du Grund, ihn zu hassen, und ich verstehe dich.«
Marie richtete ihren Blick verwirrt auf ihren Onkel. Sie hatte auch ihn hassen wollen, doch machte er es ihr nicht leicht.
»Aber jetzt«, fuhr er sogleich fort. »Erzähle mir bitte, was ich der unvergleichlichen Aliénor antat, damit sie mich hasste. Habe ich sie misshandelt? Daran erinnere ich mich nicht. Ich gab ihr ihre Länderein wieder, die eigentlich mir gehörten. Ich überließ ihr den besten unserer Söhne, sah schweigend zu, wie sie mir auch die zwei anderen entfremdete. Nur John hat sie mir gelassen, denn der gefiel ihr nicht.«
Marie wurde leicht schwindelig. Sie hatte Anklagen und Drohungen erwartet, aber keine solche Frage. Die klugen, grauen Augen ihres Königs musterten sie über den Hühnerknochen hinweg, an dem er inzwischen wieder nagte. »Ihr habt Aliénors Stolz verletzt«, sagte sie zaghaft. Mehr fiel ihr in diesem Moment nicht ein. Als Henri sich die Hand vor den Mund hielt, um in seinem Lachanfall kein abgebissenes Stück Fleisch auszuspucken, musste sie ihm recht geben. Es klang wie ein sehr dummer Grund für einen Krieg.
Sie presste die Finger gegen die Schläfen. Hatte der Schreck ihrer Gefangennahme und die Zerstörung all ihrer Hoffnungen ihren Verstand völlig gelähmt?
»Ihr habt mit einer Scheidung gedroht«, fuhr sie schließlich fort, erleichtert, dass ihr Gedächtnis sie nicht völlig im Stich ließ. »Ihr wolltet Richard als ihren Nachfolger absetzen.«
Henri hielt ihr einen Becher Wein hin, den sie dankbar annahm.
»Ich war wütend«, sagte er dann. »Welcher Mann wäre es
nicht, wenn er seinen Sohn mit einem anderen Jungen in einer eindeutigen Lage ertappt? Aber ich hatte niemals vor, mich von Aliénor scheiden zu lassen. Rosamond … Sie ist gütig, warmherzig, aber keine geborene Königin.«
»Dennoch hat sie Eure Gemahlin von Eurer Seite verdrängt«, widersprach Marie.
Henri nickte nur.
»Aliénor ist elf Jahre älter als ich. Ich habe ihr niemals ewige Treue versprochen, und dass sie eines Tages zu alt für mich sein wird, das hätte sie sich denken können, so klug, wie sie ist.«
Marie senkte den Blick. Jetzt sah sie die Dinge wieder mit völliger Klarheit. Genau das hatte Aliénor sich gedacht und einen Krieg begonnen, um nicht an politischem Einfluss zu verlieren. Aber welchen Sinn machte es, dieses Gespräch endlos fortzusetzen?
»Ich dachte, sie würde ein Einsehen haben«, redete Henri weiter.
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