Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
ruhiger. Sie hatte die Geschichte über den Ritter mit zwei Frauen in einer Art vollendet, die Henri gefallen musste. Dass auch der Mann und seine Geliebte nach vielen Jahren glücklichen Zusammenlebens schließlich ins Kloster gingen, konnte er als einen Versuch sehen, aufgebrachte Kleriker zu beruhigen. Für Marie war es einfach ein gerechtes Ende für alle Beteiligten.
    »Ich glaube, es gibt hier jemanden, der deinen Zuspruch braucht, Marie«, begrüßte sie der König, ohne nach dem Fortschritt ihrer Lais zu fragen. Marie blieb ratlos stehen.
    »Deine Tante Emma ist sehr aufgebracht. Vielleicht kann ein kluges Mädchen wie du ihr ein wenig Vernunft einreden«, meinte Henri mit einem Schulterzucken. Dann beugte er sich wieder über das Schachbrett und setzte seinen Justitiar Richard de Luci mit einem letzten Zug matt.
    Marie wurde weiter durch den Gang geführt. Sie erkannte jene Räume, die sie während des Weihnachtsfestes in Chinon mit ihrer Tante bewohnt hatte. Die Erinnerung an zerstörte Hoffnungen schmerzte sie plötzlich.
    Jeanne, Emmas Zofe, öffnete die Tür. Sie sah erschreckend blass aus.
    »Ma Dame, Marie! Ich bin so froh, Euch zu sehen!«
    Marie schloss das Mädchen in die Arme.
    »Wo ist Hawisa?«, sprach sie jene Frage aus, die sie seit der Ankunft der Damen aus Poitiers beschäftigte. Unter der plappernden Schar, die aus den Wagen gestiegen war, hatte sie ihre Zofe nicht entdecken können.
    »In England mit ihrem Laurent«, erwiderte Jeanne zu ihrer
Erleichterung. »Sie schlossen sich einer Gruppe von Rittern an, die der König dorthin schickte. Aber jetzt seht bitte nach Emma d’Anjou. Sie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und liegt nur auf dem Bett herum. Ich wage kaum, mich ihr zu nähern, da sie ständig mit Gegenständen um sich wirft.«
    Jeanne klang eher verängstigt denn mitfühlend. Marie folgte ihr mit gemischten Gefühlen ins Schlafgemach. Emma hatte von dem Verrat an Aliénor gewusst und sie in ihr Unheil reiten lassen. Der halbherzige Versuch ihrer Tante, sie selbst zu warnen, trug kaum dazu bei, ihren Groll zu mildern, doch als sie das mit Tränen und verwischter, zu Schlieren getrockneter Schminke bedeckte Gesicht auf dem Bett erblickte, erschrak sie. Emma sah beinahe so elend aus wie Aliénor in den ersten Tagen nach ihrer Gefangennahme. Dunkle Ringe hatten sich unter ihre Augen gegraben und um die Mundwinkel zeichneten sich erste Falten ab, deuteten das Gesicht einer verbitterten, alten Frau an.
    »Du bist tatsächlich hier!«, begrüßte die Tante sie ohne besondere Begeisterung. »Wir haben unterwegs gerätselt, wohin Henri Aliénor gebracht hat. Er will uns nichts sagen. Aber ich vermute, sie befindet sich auch in Chinon. Habe ich recht?«
    Marie hielt es für ratsam, nicht zu antworten. Zögernd ließ sie sich auf der Bettkante nieder, schob mit den Füßen die Vorhänge zur Seite, die Emma abgerissen haben musste, da sie als Bündel auf dem Boden lagen.
    »Du hast von dem Verrat an Aliénor gewusst?«, wandte sie sich ohne Umschweife an Emma, die sogleich nickte.
    »Foulques, ich und noch ein paar andere Ritter. Ich bekam heraus, was Aliénor plante. Ich habe lange genug bei Hofe gelebt, um meine Ohren offen halten zu können. Ich erzählte es Foulques, und er hatte die Idee, Henri eine Nachricht
zukommen zu lassen. Wir rechneten mit einer Belohnung. Der Krieg war ohnehin verloren.«
    Sie seufzte und schloss die Augen, als hätte diese Rede sie erschöpft. Marie unterdrückte mit Mühe den Wunsch, ihre Tante zu ohrfeigen.
    »Aliénor hat uns beiden ein schönes Leben in Poitiers ermöglicht«, zischte sie. »Wir hatten mehr Freiheiten als jemals zuvor. Aber du hast sie einfach verraten!«
    Ein heiseres Lachen drang aus Emmas Kehle.
    »Meine kluge Nichte ist die geborene Vasallin, dankbar und loyal bis zum bitteren Ende.«
    Sie griff nach Maries Handgelenk, doch Marie zuckte zurück.
    »Ich wollte eben eine Belohnung«, fuhr Emma dann unbeirrt fort. »Einmal etwas haben, das mir gehört, und nicht mehr auf die Großzügigkeit anderer angewiesen sein. Aliénor hatte so viel Glück in ihrem Leben gehabt. Sie erbte ein reiches Land, und etliche Männer lagen ihr zu Füßen. Auch mein Vater. Er wandte sich ihretwegen von meiner Mutter ab, vermute ich. Welche Frau konnte es schon mit der Herzogin von Aquitanien aufnehmen?«
    »Das sind doch alte Geschichten! Warum bist du so nachtragend, Emma?«
    »Wer so viel Glück hatte, der sollte auch einmal richtig leiden müssen.

Weitere Kostenlose Bücher