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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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schob ihr unauffällig ein eingeschnürtes Bündel zu.
    »Das sind Gewänder, die ich als junges Mädchen trug, doch sie schicken sich nicht für eine ältere Frau. Es würde mich freuen, sie dir zu überlassen. Wir sind beide von kleinem Wuchs. Lege sie rasch in deine Truhe. Morgen kannst du einen anderen Bliaut tragen.«
    Marie nickte, ohne zu überlegen, und tat, wie ihr geheißen. Erst als sie merkte, dass die meisten der Damen Kleidung zum Wechseln besaßen, wurde ihr klar, dass Torqueri ihr hatte helfen wollen, nicht unnötig Spott auf sich zu ziehen.
    Nach der Messe in einer Kapelle wurde das Morgenmahl
im Gemach der Königin aufgetischt. Es war ein großer Raum, an dessen Ende eine weitere Tür zu sehen war. Dahinter, so ahnte Marie, verbarg sich das private Zimmer der schönen Dame. Aliénor war nun schlichter gekleidet, doch die blaue Seide ihres Bliauts ließ ebendiesen Farbton in ihren Augen erstrahlen und fiel sehr schmeichelhaft um ihre hohe, schlanke Gestalt, wie Marie bereits während der Messe aufgefallen war.
    »Es steht noch keine Abreise bevor«, erklärte sie, als alle Damen sich an den Tisch gesetzt hatten und die zweibeinigen Küchenschaben begannen, das Essen hereinzutragen. »Wir müssen uns trotz des kühlen Wetters die Zeit vertreiben. Vielleicht findet in den nächsten Tagen eine Jagd statt, doch im Moment ist der Regen unerträglich.«
    Marie musterte wiederum kunstvolle Wandbehänge, jene weichen Decken unter ihren Füßen, die Teppiche genannt wurden, mit Schnitzereien verziertes Mobiliar und prachtvolle Becher, aus denen warmer, gewürzter Wein getrunken wurde. Nach dem Morgenmahl setzte sich die Königin vor einen großen Stickrahmen und zog aufmerksam Fäden durch das Gewebe. Auch die anderen Damen hatten Handarbeiten mitgebracht. Marie rutschte unsicher auf ihrem Stuhl herum, bis Torqueri ihr ebenfalls ein Stück Tuch, eine Hornnadel und wollenes Garn in verschiedenen Farben hinhielt.
    »Versuche es einfach«, flüsterte die. »Morgen kannst du dein Buch mitbringen. Aber es macht einen schlechten Eindruck, wenn du tatenlos dasitzt.«
    Marie sah, dass auf dem Stoff bereits die Umrisse einer Blume gezeichnet waren. Sie begriff, dass sie diese mit Fäden nachstechen sollte, und machte sich fleißig an die Arbeit, doch fiel es ihr schwer, die Nadel so geschickt zu führen wie die anderen Frauen. Wenn sie die Augen schloss, dann sah sie die fertige Stickerei in aller Deutlichkeit vor sich,
doch wäre es ihr leichter gefallen, die Anmut der Blüte mit Worten zu beschreiben, als sie mit Nadelstichen erblühen zu lassen. Eine solche Kunstfertigkeit war ihr niemals beigebracht worden, und es drängte sich ihr der Gedanke auf, welchen Sinn all dieses Sticken haben sollte. Vermutlich waren durch solchen unermüdlichen Fleiß die prachtvollen Wandbehänge oder auch nur die Verzierungen an den Chemises und Bliauts entstanden. Sie ahnte allerdings, dass ihr für diese Tätigkeit Geduld und Geschick fehlten.
    Am nächsten Tag brachte Marie mutig ihren Ovid in das Gemach der Königin, was Staunen, aber keine wahre Empörung auslöste.
    »Du kannst tatsächlich Latein?«, fragte Aliénor, nachdem sie einmal kurz in Maries Richtung geblickt und gefragt hatte, um welches Buch es sich hier handelte. Marie nickte, fügte aber hinzu, dass sie nur bemüht sei, es zu lernen. Die Königin lächelte nachsichtig.
    »Das klingt, als würdest du Nonne werden wollen«, erklärte sie mit einem Schulterzucken. Marie schwieg. Sie konnte nicht erklären, warum der Wunsch, die Sprache der Gelehrten zu erlernen, wie ein Feuer in ihr brannte. Doch kam sie schlecht voran. Ihre Versuche, die noch übrig gebliebenen Blätter des Buches zu entziffern, blieben fruchtlos, denn sie hatte keinen Lehrmeister mehr.
    »Was du gesagt hast, war nicht unbedingt klug«, flüsterte Emma d’Anjou ihr später ins Ohr. »Die Königin gilt als ungewöhnlich gebildet, weil sie lesen kann. Und du machst dich vor ihr mit deinem Latein wichtig!«
    Marie beschloss, diesen Vorwurf mit Emmas üblicher Neigung zu boshaften Bemerkungen zu erklären, doch war ihr unbehaglich zumute. Die schöne Aliénor wirkte viel kühler und unnahbarer als in ihren Träumen von einst. Wenn die Amme ihre vier kleinen Kinder hereinführte, die sich
ebenfalls in Chinon befanden, blickte sie nur kurz auf und lächelte. Die winzigen Wesen wurden so schnell wieder fortgebracht, dass Marie sich ihre Namen nicht merken konnte. Während des Stickens unterhielt die

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