Die Dichterin von Aquitanien
unter ihnen waren eine gerade Nase und breite Wangenknochen aufgetaucht.
Dieser bärtige Mann auf dem hohen Stuhl war in der Tat ihr Blutsverwandter, das stand ihnen beiden ins Gesicht geschrieben. In ihm und auch in der schönen Emma hatte Marie gefunden, was sie in Huguet als Einzige niemals besessen hatte. Familie. Verwandtschaft. Doch fühlte sie sich ihnen völlig fremd.
»Erzähle mir, was aus deiner Mutter wurde, Marie«, meinte der König nun recht freundlich. »Sie war eine einfache Magd, doch meinem Bruder hatte sie völlig den Kopf verdreht. Unser Vater musste eingreifen, damit der gute Geoffroy keine Dummheiten anstellte. Aber er hat niemals schlecht von ihr gesprochen, meinte, sie hätte sich weitaus klüger und umsichtiger verhalten als mein dickköpfiger Bruder.«
Obwohl hier das Ende der Liebschaft zwischen ihren Eltern
beschrieben wurde, war Marie erfreut, den Onkel ihre Mutter loben zu hören. Sie fühlte sich etwas weniger fehl am Platz, als sie antwortete: »Ich habe meine Mutter nie wirklich gekannt, denn sie starb kurz nach meiner Geburt. Guillaume aus Nantes, ein Gaukler und Sänger, erzog mich.«
Der König kaute in aller Ruhe an einem Hühnerschenkel. Das Fett ließ seinen Mund glänzen.
»Und was hat er dir beigebracht? Durch Reifen zu springen?«, fragte er nach einer Weile. Zu ihrem Unbehagen hörte sie ein paar Lacher im Hintergrund. Auch die fein geschwungenen, künstlich geröteten Lippen Aliénors formten ein Lächeln.
»Ich kann lesen und schreiben«, entgegnete Marie stolz. »Auch etwas Latein. Ich habe von Guillaume gelernt, Geschichten zu erzählen.«
Der König stieß ein raues Grunzen aus, das Marie nicht zu deuten vermochte. Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass ihre Zukunft davon abhing, wie sie diesem Mann gefiel, und der Schlag ihres unruhigen Herzens hallte in ihren Ohren.
»Sehr ungewöhnlich, deine Erziehung«, knurrte der König schließlich. »Aber wenigstens bist du nicht ungebildet. Dumme Weiber sind auf Dauer langweilig. Nur eine Frau mit Verstand vermag einen klugen Mann auf Dauer zu begeistern.«
Sein Gesicht wandte sich der Königin zu. Marie staunte, wie viel Wärme für einen kurzen Moment in den grauen Augen aufblitzte. Dieser königliche Bär vermochte offenbar ein nettes, liebevolles Tier zu sein, wenn er erst einmal gezähmt war.
»Viele Männer schätzen weibliche Dummheit«, entgegnete Aliénor sogleich. »Sie meinen, es sei Gottes Wille, dass wir Frauen einen beschränkten Verstand hätten. Doch in Wahrheit, so scheint es mir, haben diese Männer nur Angst,
an der Seite einer klugen Frau festzustellen, wie beschränkt ihr eigener Verstand ist.«
Maries Atem setzte kurz aus, und sie stellte sich vor, was für ein Gesicht der Pfarrer in Huguet bei einer solchen Aussage gemacht hätte. Doch was auch immer die Reaktion der Herrschaften im Saal sein mochte, sie wurde von dem grölend brüllenden Gelächter Henris überlagert.
»Bei Gottes Augen, meine verehrte Aliénor«, stieß er hervor. »Ihr könnt als Dame zwar kein Schwert führen, doch Eure Zunge ersetzt es allemal.«
Wieder musterte er die hochgewachsene, prächtig geschmückte Königin. Stolz leuchtete in seinen Augen, als betrachte er ein kostbares Juwel, das nur ihm allein gehörte. Aliénor lächelte nochmals. Sie musste sehr zufrieden sein an der Seite dieses Mannes, der Menschen liebte, die ebenso kämpferisch waren wie er selbst. Marie konnte nicht umhin, sie neugierig anzustarren. Diese Frau brachte Troubadoure zum Schwärmen, ließ Studenten zotige Lieder über sie singen und hatte auch so manchen Ausbruch der Empörung bei frommen Kirchenmännern ausgelöst. Obwohl das Gesicht der Dame härter geworden war, hatte es seine edlen, feinen Züge bewahrt. Keine der jungen, herausgeputzten Damen an der großen Tafel vermochte Aliénor in den Schatten zu stellen, deren Schönheit in dem harmonischen Bau ihrer Knochen bestand, gleichzeitig aber aus ihrem Inneren strahlte wie ein Feuer, das nicht verlöschen konnte.
»Ich heiße dich am Hof willkommen, Marie. Folge dem Beispiel der anderen Damen, wenn du nicht weißt, welches Benehmen angemessen ist«, meinte die Königin nun an sie gewandt. Marie sah ihr offen ins Gesicht. Tief in ihr war die Hoffnung aufgekeimt, die schöne Dame möge das Mädchen von einst wiedererkennen, doch sie wusste, wie unsinnig dies war.
»Nun kannst du an deinen Platz zurückgehen. Die Königin wird erst morgen wieder deine Dienste brauchen«, fügte der
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