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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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So hatte er sich dagegen ausgesprochen, dass Besitzer von Ländereien regelmäßige Abgaben an die Vögte zahlen sollten, welche dort für Ordnung sorgten. Für kirchlichen Besitz dürfte dies niemals gelten, hatte er ausdrücklich verkündet. Ebenso war er nicht willens, ein weltliches Gericht hinzunehmen, das über die Taten von Geistlichen urteilte. Marie fand die Vorschläge des Königs zwar vernünftig, aber sie staunte, wie viel Mut in diesem Thomas Becket stecken
musste, denn wer stellte sich freiwillig einem brüllenden Bären entgegen? Sie sah den Erzbischof von Canterbury nur selten, konnte sich daher kein Urteil über ihn bilden.
    Stattdessen fiel Marie in Westminster auf, dass sie manchmal als Erste einen gefüllten Weinbecher erhielt, wenn die Königin gerade nicht bei den Damen saß. Beim abendlichen Gelage stand der am köstlichsten duftende Braten erstaunlich oft in ihrer Nähe und immer wieder wurde sie von einem Mädchen leise gefragt, ob sie noch andere Wünsche hätte. Neugierig musterte Marie die schmalen Hände ihrer Wohltäterin, und manchmal drehte sie sich um und wollte deren Gesicht erkennen, doch wich diese stets erschrocken zurück, verschwand in der Masse von unauffälligen Bediensteten. Ebendiese Zurückhaltung stachelte Maries Neugierde an. Eines Tages entfernte sie sich unter dem Vorwand des Unwohlseins aus dem Gemach der Königin und folgte dem wohltätigen Wesen in den Gang hinaus.
    »Wer bist du?«, rief sie der Bediensteten hinterher. »Wie ist dein Name, Mädchen?«
    Das Mädchen hatte ein feines, blasses Gesicht, dessen Ebenmäßigkeit an die Marienstatuen in Kirchen und Kapellen erinnerte. Pechschwarzes, glattes Haar fiel wie ein seidener Vorhang über seine schmalen Schultern. Diese anmutige Erscheinung hätte Emma in den Schatten stellen können, wäre sie in höfische Gewänder gehüllt.
    »Ich bin Hawisa, Madam«, erwiderte sie leise. Dunkle Augen musterten Marie.
    »Ich möchte dir danken, dass du so aufmerksam für mein leibliches Wohl sorgst«, meinte Marie und fand sogleich, dass sie sich dümmlich anhörte. Der Hauch eines Lächelns huschte über Hawisas Gesicht.
    »Ihr habt meinem Bruder geholfen, Madam. Dafür bin ich Euch dankbar.«

    Es dauerte eine Weile, bis Marie diese Worte irgendeiner Erinnerung zuordnen konnte. Die Art, wie jenes bildhübsche, unbekannte Wesen sie angeredet hatte, half ihr dabei. »Madam« anstelle von »Ma Dame«, so hatte auch der Junge im Wald geklungen, als dringe eine andere Sprache in sein Französisch ein, die Betonung und Klang der Worte veränderte. So war es manchmal auch bei der Königin und ihrer Schwester Petronilla. Doch hier handelte es sich um eine völlig andere Sprache, die hart und rau, aber eben dadurch auch reizvoll klang, so wie uralte Sagen über heidnische Krieger. Marie hatte bereits viele Leute des einfachen Volkes in England so reden hören, jene, die sich noch nicht das Französisch der normannischen Herrscher angeeignet hatten.
    Doch sobald ihr klar wurde, für welche Rettung sie hier belohnt wurde, senkte sie verlegen den Blick.
    »Ich habe den Keiler doch nicht getötet«, erklärte sie wahrheitsgemäß. »Das war der Ritter Guy de Osteilli.«
    Das Lächeln auf dem bildschönen Gesicht wurde breiter und entspannter. Ganz selbstverständlich kam das Mädchen ein paar Schritte näher, gab Marie dann ein Zeichen, ihr in eine Nische bei der Fensteröffnung zu folgen, wo nicht ständig emsige Bedienstete an ihnen vorbeihuschten und sie ungestört miteinander reden konnten.
    »Der Keiler war nicht die wirkliche Gefahr, Madam«, sagte Hawisa dann. »Er hätte Aelwig, meinen Bruder, schon in Frieden gelassen, wenn die Hunde ihn nicht zur Weißglut getrieben hätten. Doch wir alle hier wissen, wie schmerzhaft die Tritte der edlen Emma d’Anjou sein können.«
    Marie staunte für einen kurzen Moment, dann erinnerte sie sich, dass ihre junge Tante niemals zurückhaltend war, wenn es galt, Bedienstete für Nachlässigkeit oder Ungeschicklichkeit zu strafen.

    »Ihr habt Euch für Aelwig eingesetzt, und deshalb verdient Ihr meinen Dank«, meinte die schöne Dienerin mit Nachdruck.
    Wieder spürte Marie ein glückliches Glühen auf ihren Wangen, das ihr peinlich war. Hätten Aliénor, Emma oder auch Torqueri es jemals für nötig befunden, sich derart dankbar für die Aufmerksamkeit einer Dienerin zu zeigen?
    »Warum lief dein Bruder denn durch den Wald?«, fragte sie. »Wusste er nicht, dass es gefährlich sein

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