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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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sie nachts den Stein, den Jean aus Bordeaux ihr geschenkt hatte, unter ihrem Kissen hervor. Sie strich versonnen über seine Oberfläche und zauberte dadurch das feine Knabengesicht ins Dunkel. Sie wollte daran glauben, dass es diesem Jüngling ganz gleich wäre, ob sie
Rot, Braun oder das Schwarz von Nonnen trug. Dass er ihr trotzdem mehr Beachtung schenken würde als den höfischen Schönheiten. Bei Tag ließ ihr Verstand sie über diese Träumerei lachen. Welche Bedeutung hatte die Schwärmerei eines Halbwüchsigen in einer Welt, wo es vor allem auf den Schein ankam?
    Immer wieder suchte sie Gelegenheiten, sich mit Hawisa zu treffen, denn in der Gegenwart dieses Mädchens fühlte sie sich weder minderwertig noch unscheinbar. Zwar war Hawisa mindestens so anziehend wie Emma, doch schien sie darüber keinen Stolz zu empfinden, beschwerte sich nur gelegentlich über die Zudringlichkeit einiger Knechte und Ritter.
    Marie erfuhr von den drei Brüdern, mit denen die Bedienstete aufgewachsen war. Dem Vater, der des Schreibens mächtig war und es auch seine Kinder gelehrt hatte, selbst die Tochter. Hawisa kannte sogar die Geschichte von Artus und seinen Rittern, konnte Marie von einer weiteren tragischen Liebe erzählen, der des tapferen Tristan zu der verheirateten Isolde.
    »Der König kommt aus Wales zurück«, berichtete sie Marie eines Abends, als sie im Hof unter dem Sternenhimmel saßen. Die Luft war milde und roch bereits nach Frühling.
    »Davon hat niemand etwas erzählt. Nicht einmal die Königin scheint es zu wissen«, erwiderte Marie verwirrt. Hawisa blickte auf ihre kleinen Hände. Im Mondlicht konnte Marie Brandblasen an den zarten Fingern entdecken.
    »Ich weiß aber, dass es so ist«, murmelte Hawisa. »Mein Vater hat seine Informanten. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    Marie kannte diesen Tonfall bereits, wenn sie über persönliche Dinge sprachen.
    »Hat er die Aufständischen denn geschlagen?«, fragte sie daher nur.

    Hawisa senkte kurz den Kopf, um dann mit sehr leiser Stimme fortzufahren: »Die Armee des Königs drang ins Land ein. Rhys ap Gruffydd, der Anführer der Aufständischen, unterwarf sich ihm und gab ihm zwei seiner Söhne als Geiseln. Danach wurde er freigelassen, darf nun wieder Teile seines Herrschaftsgebiets beanspruchen. Die walisischen Herrscher sind untereinander verfeindet, deshalb können sie dem König keinen entschlossenen, vereinten Widerstand entgegensetzen. Auch der letzte, noch freie Teil dieses Landes wird seine Unabhängigkeit nicht wahren können.«
    Marie staunte, wie wehmütig diese Worte klangen. Sie ahnte, dass verbotene Gedanken unausgesprochen blieben, doch wusste sie bereits, wie sinnlos es wäre, in den unzugänglichen Teil von Hawisas Wesen eindringen zu wollen. Jenes Schneckenhaus, in das die Dienerin sich immer wieder zurückzog, war aus dickem, undurchdringlichem Stein.
    »Wann kommt der König denn wieder?«, fragte sie nur.
    »Bald. Genau kann ich es nicht sagen, doch in den nächsten Tagen dürfte es am Hofe bekannt werden.«
    Hawisa erhob sich und strich über den groben Stoff ihres Kittels. Marie hatte ihr zwei von den Gewändern geschenkt, die sie von Torqueri erhalten hatte, denn in deren dunklem Farbton sah sie tatsächlich so mausig aus wie Emma meinte. Hawisa hingegen gehörte zu jenen Frauen, die allein durch die Anmut ihrer Gestalt und die feinen Zügen ihres Gesichts ins Auge stachen, auch wenn ihr das nicht wichtig schien. Sie trug diese feinen Gewänder nie, obwohl sie dankbar für das Geschenk gewesen war.
    »Ich würde jetzt gern schlafen gehen, Demoiselle«, meinte sie mit einer Demut, die Marie verletzend schien. Sie hatte gehofft, für Hawisa mittlerweile mehr Freundin denn Herrin zu sein. Doch ihr fiel sogleich ein, dass die Rangordnung bei
Hofe als unüberwindlich galt. Gerade die einfachen Menschen konnten es sich nicht erlauben, sie zu missachten.
    »Ich wünsche dir eine gute Nacht«, meinte sie nur und schlich in ihr Gemach zurück.
    Während die ruhigen Atemzüge der anderen Damen an ihre Ohren drangen, holte Marie wieder den Stein unter ihrem Kissen hervor, um zärtlich über seine Flächen zu streichen.
    Mit dem König käme auch Jean zurück. Vielleicht konnte sie ihm bei den Liedtexten helfen, ein wichtiger Bestandteil seines Lebens werden, damit er sie nicht ganz vergaß, wenn er sich in ein paar Jahren in einen höchst anziehenden jungen Mann verwandeln würde. Es beschämte sie, ebenso wie Emma nach Aufmerksamkeit zu

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