Die Dichterin von Aquitanien
Schicksal hat Gott in seiner Allmacht ihr bestimmt. Es ist meist nicht klug, diesen Mann zu sehr zu lieben.«
Marie widersprach nicht. Sie hatte sich seit der Trennung von Pierre kaum mehr mit diesen Fragen befasst, denn ihre Sorgen waren von anderer Art gewesen. Der einzige Mann am Hofe, der für einen kurzen Moment ihr Herz berührt hatte, war ein blonder, halbwüchsiger Jüngling gewesen.
»Weißt du, was aus Jean aus Bordeaux geworden ist, jenem jungen Mann, der an meinem ersten Abend bei Hofe sang?«, fragte sie Torqueri nun. Ihre Stimme musste lauter geklungen haben als bisher, denn auch Emma wandte sich ihr zu.
»Der blonde Schönling wurde nach Frankreich geschickt, gemeinsam mit Aliénors Halbbruder, der in Aquitanien nach dem Rechten sehen soll«, erwiderte die Tante, sichtlich stolz, die neuesten Gerüchte zu kennen. Marie staunte, welch tiefe Enttäuschung diese Neuigkeit in ihr auslöste. Nun gab es niemanden mehr, mit dem sie über die Dichtkunst reden konnte.
In diesem Moment riss das königliche Bellen sie aus ihren Gedanken.
»Ich möchte nun verkünden, dass ich zum Zeichen meines Friedens mit den Walisern beschlossen habe, meine Nichte Marie mit Cadell ap Gruffydd, dem Bruder des Prinzen von Südwales, zu vermählen.«
Erstauntes Stimmengewirr erhob sich. Marie spürte die Blicke der Königin und ihrer Schwester auf sich ruhen, las nichts weiter als milde Neugier gemischt mit Belustigung darin.
»Steh auf, Marie«, flüsterte Torqueri ihr zu, und sie gehorchte ohne Widerspruch, denn all dies schien so unwirklich wie ein Traum. Das faltige Gesicht des fremden Walisers war auf sie gerichtet. Sie nahm sein mäßig begeistertes Lächeln wahr. Cadell mit den Zahnlücken musste tatsächlich damit gerechnet haben, die schöne Emma heiraten zu können, schoss es Marie durch den Kopf, und sie würgte an ihrem Drang, laut und wild loszulachen. All dies kam zu unerwartet, ergab keinen Sinn. Es musste sich um einen Scherz des Königs handeln. Eine Weile starrte sie gebannt auf das breite Gesicht ihres Onkels, in dem sie ihre eigenen Züge wiederentdeckte, und wartete auf den dröhnenden Klang seines Lachens. Doch stattdessen hob er seinen Weinpokal.
»Lasst uns auf die Verbindung meiner Familie mit der des Prinzen Rhys trinken! Möge sie zu vielen Jahren des Friedens und zahlreichen Nachkommen führen.«
Die Anwesenden folgten bereitwillig der Aufforderung. Das Stimmengewirr schwoll weiter an, und neugierige Blicke wanderten über Maries Körper. Verschwommen nahm sie Guy de Osteillis Gesicht wahr und meinte, darin Mitgefühl zu erkennen.
»Dann bist du jetzt verlobt, wie aufregend!«, hörte sie
Emma murmeln und staunte, dass der gewohnte spöttische Unterton fehlte.
»Er ist der Bruder eines Prinzen, Marie!«, fügte Mathilde de Lucy hinzu. »Hast du dir so etwas jemals erhofft?«
»Nein, das habe ich nicht«, hörte Marie sich erwidern. »Nicht in meinen wildesten Träumen.«
Etwas an dem Klang ihrer Stimme ließ die begeisterten Glückwünsche verstummen. Marie spürte, wie Torqueris Finger sich um ihr Handgelenk legten.
»Ganz egal, was du dir erhofft hast, Marie«, flüsterte die Hofdame. »Wen wir heiraten, das bestimmt allein Gottes Wille. Es hat keinen Sinn, sich dagegen aufzulehnen.«
Marie wunderte sich, warum Torqueri den König mit Gott verwechselte. Sie bemerkte, dass der Sänger den Saal verlassen hatte. Andere Musikanten erschienen mit Flöten und Schalmeien. Sie wurden von einer Gruppe herausgeputzter junger Leute begleitet, die einen fröhlichen Rundtanz aufführte. Die bereits angetrunkenen Gäste summten mit, klatschten, sprangen mitunter selbst auf, um sich den Tänzern anzuschließen, obwohl es als sündhaft und unziemlich galt, den Körper ausgelassen zur Musik zu bewegen. Mathilde hatte das Angebot eines jungen Ritters angenommen, Emma hingegen blieb eisern sitzen und wies sämtliche Aufforderungen, sich am Tanz zu beteiligen, entschieden von sich. Dabei blickte sie immer wieder verstohlen in Guy de Osteillis Richtung. Marie fühlte sich, als habe jemand dicke Tücher um ihren Kopf gewickelt, denn sie nahm das Geschehen nur undeutlich wahr.
»Tanzen normannische Damen?«, hörte sie plötzlich eine fremdländische Stimme, die von einem Schwall schlechten Atems begleitet wurde. Widerwillig nahm Marie zur Kenntnis, dass der walisische Prinz Cadell vor ihr stand. Auch aus der Nähe betrachtet gewann er nicht an Reiz. Sein Gesicht
war eingefallen, sodass die Haut lose
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