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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Ärger auf sich zu ziehen.
    Marie gelang es, jene von Hawisa beschriebene Stelle zu finden, wo die Wendeltreppe in einem kleinen Raum mündete, der zwei Öffnungen aufwies. Der Weg nach rechts führte hinaus auf einen offenen Hof, wo im Sommer manchmal Feste stattfanden. Sie nahm den Weisungen gemäß die andere Richtung und stieg weiter Stufen hinab. Um sie herum wurde es finster, da Fensteröffnungen fehlten. Eine brennende Kerze mitzunehmen, war ihr unklug erschienen, doch mittlerweile bereute sie diese Vorsicht, denn sie fürchtete bei jedem Schritt zu stolpern. Entschlossen tastete sie sich am Gemäuer weiter, und ihre Lippen bewegten sich in einem stummen Gebet.
    »Madam?«, hörte sie Hawisa endlich flüstern und atmete erleichtert auf.
    »Du solltest mich nicht so anreden«, meinte sie leichthin. »Das wirkt merkwürdig bei meiner Aufmachung.«
    »Kommt mit!«, forderte Hawisa sie auf und ergriff ihre Hand. »Hier geht es zur Küche und den Vorratskellern. Wir holen uns eine Fackel, zwei Heugabeln und gehen dann unsere Arbeit verrichten.« Gehorsam eilte Marie der kleinen Gestalt hinterher, die sich sicher wie eine Katze durch die
dunkle Nacht bewegte. Hawisa huschte über den mondbeschienenen Eingangshof des Burggeländes, wo einige Hütten als Lagerräume dienten. Dort holte sie die notwendigen Gegenstände und führte Marie zurück ins Hauptgebäude, direkt in die große, verräucherte Küche. Am stets brennenden Herdfeuer zündete sie eine Fackel an. Die plötzliche Helligkeit blendete Marie, und sie kniff die Augen zusammen.
    »In dieser Aufmachung seid Ihr wie eine von uns Madam … Ich meine Marie«, sagte Hawisa und drückte Marie eine der Heugabeln in die Hand. »Aber jetzt müssen wir schnell weiter. Kommt!«
    Marie folgte ihr wie ein treuer Hund. Hawisa getroffen zu haben, schien ihr mit einem Mal ein kostbareres Geschenk als alle schönen Kleider, die sie erhalten hatte, seitdem sie an den Hof gerufen worden war.
    Durch das Labyrinth der Stufen und Gänge gelangten sie wieder in einen Raum, der Marie vertraut war. In diesem großen Saal war zwei Wochen zuvor ihre Verlobung mit Cadell ap Gruffydd verkündet worden. Hawisa sammelte mit der Heugabel das Stroh auf, mit dem der Boden wie gewöhnlich bedeckt war. Die stets herumstreunenden Hunde der Ritter lagen gerne darauf, und wenn die Sitzgelegenheiten knapp wurden, nahmen ihre Herren dort auch manchmal Platz.
    »Ich habe die Aufgabe, vor Morgengrauen den Saal einigermaßen zu säubern, damit frisches Stroh hereingebracht werden kann«, erklärte Hawisa unterdessen.
    Marie staunte und fragte: »Du ganz allein?«
    Hawisa zuckte mit den Schultern.
    »Ganz allein bin ich ja nun nicht. Und Gladys, die uns allen vorsteht, mag mich nicht besonders. Sie meint, ich sei gegenüber den Rittern zu zimperlich und würde dauernd unentschuldigt verschwinden.«
    Marie ahnte, dass sie damit auf den Vorfall an jenem unseligen
Abend anspielte, der für sie beide unerfreulich verlaufen war. Wie war es möglich, dass diese Gladys Hawisas Empörung über den zudringlichen Ritter nicht verstand? Tief in ihrem Inneren ahnte Marie die Antwort. Schöne Mädchen zogen schnell den Neid anderer Frauen auf sich, das hatte sie bereits gelernt. Vermutlich sollte Hawisa für Vorzüge bestraft werden, die sie nicht einmal als solche empfand.
    »Wir tragen zusammen die größten Haufen aus der Burg hinaus. Danach kommen wir nicht mehr zurück«, weihte Hawisa sie in ihren Plan ein.
    Marie packte entschlossen mit an. Die Überzeugung, dass es für sie keinen Ausweg mehr gab als die Flucht ins Ungewisse, verlieh ihr ungeahnte Kräfte. Als das Stroh sich endlich in einer Ecke des Raums türmte, stand Marie der Schweiß auf der Stirn und ihre Chemise war durchnässt.
    »So, jetzt nehmen wir beide so viel, wie wir tragen können. Nach fünf oder sechs Gängen haben wir das meiste aus der Burg geschafft. Ich habe für die nächsten Tage freibekommen, weil ich sagte, dass mein Vater schwer krank sei. Nach meiner Rückkehr wird Gladys sich schon beruhigt haben und falls nicht, was soll’s.« Hawisa umschlang einen dicken Ballen mit ihren Armen, und Marie tat es ihr gleich. Gemeinsam schleppten sie die Last in den Hof und luden sie auf einen Karren. Schließlich schafften sie es, den großen Saal nicht frei von Stroh, aber wenigstens deutlich leerer zurück zu lassen.
    Hawisa wechselte ein paar Worte mit den Wächtern, und das Tor wurde geöffnet. Dann schob sie den Karren ins Freie. Marie

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